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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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angenehmem Gesicht und muskulösen Armen und Schultern, schien Marshall, wie er da hinter seinem Schreibtisch saß, den großen Raum ganz auszufüllen. Er hatte die OZ in wenig mehr als zwei Wochen aufgebaut, alle Personalfragen persönlich entschieden und sich der Hilfe von Spitzenexperten der Meteorologie, der Nachrichtenübermittlung und der Elektronik versichert. Die OZ bildete jetzt eines der Hauptnervenzentren der westlichen Hemisphäre und hielt die Vereinten Stabschefs und die Regierung über alles auf dem laufenden.
    »Sind Sie gestern gut nach Hause gekommen?« fragte er Deborah.
    »Danke, ja.« Sie sah auf die Uhr. Es war zehn Uhr siebenundfünfzig, drei Minuten, bevor Marshall den Vereinten Chefs seinen Tagesbericht geben mußte, doch er hatte schon alles vorbereitet und war vollkommen ruhig.
    Als die Uhr zehn Uhr neunundfünfzig zeigte, erhob sich Marshall. Die Konferenz fand in einem Sitzungssaal am anderen Ende des Korridors statt. Lächelnd nahm Marshall die Aktenmappe entgegen, die Deborah ihm reichte, und drückte kurz ihre Hand. Mit der anderen Hand schob er sie sanft zur Tür.
    »Zeit für unser Rendezvous«, sagte er. »Vielleicht haben wir ein Trostpflästerchen für die Herren dabei.«
    Als sie eintraten, nahmen die anderen Mitglieder der OZ-Leitung eben Platz. Es waren fünf. Der Verbindungsmann zum Premierminister war Sir Charles Gort, Ständiger Sekretär des Innenministeriums, der in seinen gestreiften Hosen und dem schwarzen Jackett das typische Bild eines Staatsbeamten bot. Er sprach ruhig, doch äußerst sicher. Nie gab er einer eigenen Meinung Ausdruck, stets beschränkte er sich darauf, zwischen konträren Ansichten zu vermitteln.
    Er wartete, bis sich die anderen gesetzt hatten, und wandte sich dann an Dr. Lovatt Dickinson, den Direktor des Amtes für Meteorologie, einen Schotten mit rotbraunem Haar in braunem Tweedanzug, der links von ihm saß.
    »Doktor, würden Sie so liebenswürdig sein, uns über die letzten Wettermeldungen zu informieren?«
    Dickinson beugte sich vor und las von einer der blauen Tabellen des Wetteramtes ab:
    »Nun ja, Sir Charles, ich kann nicht behaupten, daß ich viel Gutes zu sagen hätte. Der Wind hat jetzt einhundertfünfundsiebzig mph erreicht, das bedeutet im Vergleich zu gestern eine Zunahme von fünf Meilen pro Stunde, wie täglich während der letzten drei Wochen. Die Feuchtigkeit hat etwas zugenommen, eine Tatsache, die den enormen Luftbewegungen über den Meeren zuzuschreiben ist. Wir haben versucht, Höhenmessungen zu machen, aber Sie werden wohl einsehen, daß es unter den gegebenen Umständen unmöglich ist, einen Wetterballon aufzulassen. Immerhin, unser Wetterschiff vor Grönland, wo die Windstärke nur fünfundachtzig mph mißt, hat uns Daten durchgegeben, die darauf hindeuten, daß die Geschwindigkeit des globalen Luftstromes mit abnehmender Luftdichte sinkt, und daß in fünfundvierzigtausend Fuß Höhe die Windstärke am Äquator fünfundvierzig mph beträgt, auf unserer Breite dreißig mph.«
    Dickinson suchte einen Augenblick in seinen Notizen herum, und Gort benutzte die Pause geschickt, um ihn zu unterbrechen.
    »Vielen Dank, Doktor. Aber nun eines: Bestehen irgendwelche Aussichten, daß der Wind tatsächlich etwas nachläßt?«
     
    Dickinson schüttelte ernst den Kopf. »Ich wäre nur zu gern Optimist, Sir Charles, ich hege jedoch den Verdacht, daß es noch geraume Zeit dauern wird, bevor das eintritt. Wir erleben ein meteorologisches Phänomen von beispielloser Gewalt, einen weltumfassenden Zyklon, der gleichmäßig zunimmt und alle Merkmale eines überaus beständigen aerodynamischen Systems aufweist. Die Windmasse besitzt jetzt eine enorme Schwungkraft, und allein das Beharrungsvermögen wirkt einem plötzlichen Nachlassen entgegen.
    Theoretisch gibt es keinen Grund, warum dieser Zustand nicht ad infinitum so bleiben sollte, ähnlich wie die Gaswolken, die um den Saturn kreisen. Bis heute ist das Wetter dieses Planeten von Meeresströmungen bestimmt worden, doch im Moment sind offensichtlich andere Eingüsse vorherrschend. Welcher Art, das entzieht sich allerdings unserer Kenntnis.
    Unsere Monitoren haben kürzlich eine ungewöhnlich starke kosmische Strahlung entdeckt. Alle elektromagnetischen Wellen besitzen Masse. Vielleicht ist bei der Sonnenfinsternis im vergangenen Monat explosionsartig ein Tangentialstrom kosmischer Strahlen aus der Sonne herausgeschossen worden, ist auf die exponierte Halbkugel der Erde aufgetroffen und hat

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