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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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durch sein Aufprallen auf die Lufthülle den Zyklon in Bewegung gesetzt, der zu jenem Zeitpunkt um die Erdachse kreiste.«
    Dickinson sah im Kreis umher und lächelte düster. »Oder aber die beleidigte Vorsehung hat beschlossen, jene Pestilenz die sich Menschheit nennt, auf diese Weise von der ehemals grünen Erdoberfläche zu fegen. Wer weiß?«
    Gort schob die Lippen vor und sah Dickinson amüsiert an. »Nun, das wollen wir nicht hoffen, Doktor. Zusammenfassend wäre also zu sagen, daß wir allzu optimistisch waren, als wir vor einer Woche annahmen, der Wind würde sich, wenn er Hurrikanstärke erreicht hat, von selbst legen. Wir müssen darauf gefaßt sein, daß es so weitergeht, wenn auch nicht endlos so doch über einen gewissen Zeitraum, sagen wir einen Monat. Könnten wir nun den Lagebericht der Nachrichtenabteilung hören?«
    Marshall beugte sich vor. Aller Augen wandten sich ihm zu.
    »Wenn ich rekapitulieren darf, Sir Charles: Vor genau acht Tagen erlebte London zum erstenmal Winde von über einhundertzwanzig mph, einer Stärke, für die die Architekten die Stadt gewiß nicht gebaut hatten. Wenn man das bedenkt, können wir stolz sein, zu hören, daß unsere Hauptstadt mit bemerkenswerter Zähigkeit zusammenhält.« Marshall sah im Kreise umher und fuhr dann in etwas sachlicherem Ton fort: »Zuerst London. Obgleich jegliche geschäftliche und industrielle Tätigkeit zum Erliegen gekommen ist, hat der größte Teil der Einwohner nicht mit allzu großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die meisten haben ihr Haus mit Brettern verbarrikadiert das Dach befestigt und genügend Lebensmittelvorräte angelegt. Die Anzahl der Todesopfer ist gering – zweitausend – und viele davon ältere Menschen, die vermutlich eher vor Angst als durch herabfallende Steine gestorben sind.«
    Marshall sah seine Notizen durch. »In Europa und Amerika bietet sich so ziemlich das gleiche Bild. Die Menschen haben sich verkrochen und sind bereit, durchzuhalten. In Skandinavien und dem nördlichen Rußland, die außerhalb der Hauptsturmzone liegen, geht das Leben fast wie gewöhnlich weiter.« Marshall lächelte. »Ich denke, wir können noch zwanzig bis dreißig Meilen pro Stunde ohne wirklichen Schaden durchstehen.«
    Generalmajor Harris, ein kleiner Mann in tadelloser Uniform, nickte kurz.
    »Das freut mich zu hören, Marshall. Die Stimmung ist nämlich durchaus nicht gut. Zuviel defätistisches Gefasel überall.«
    Vizeadmiral Saunders, der neben ihm saß, nickte zustimmend.
    »Ich hoffe, Ihre Informationen stimmen, Marshall. Heute morgen erzählte mir ein Amerikaner, daß Venedig völlig zerstört sei.«
    »Übertreibung«, tat Marshall den Einwurf ab. »Der letzte Bericht von vor ein paar Minuten besagt, daß die Stadt zwar überflutet ist, jedoch nicht ernstlich beschädigt.«
    Der Admiral nickte; die Auskunft befriedigte ihn. Marshall fuhr fort in seinem Bericht. Deborah saß direkt hinter ihm und lauschte seiner zuversichtlichen Stimme. Außer Gort, der neutral blieb, schienen alle pessimistisch und deprimiert zu sein, das Schlimmste zu erwarten und alle Nachrichten so auszulegen, daß sie ihrer unbewußten Resignation Genüge taten. General Harris und Vizeadmiral Saunders waren typische Vertreter jener Kategorie von Offizieren, die Anfang des Krieges am Ruder gewesen war. In ihnen wohnte der Geist von Dünkirchen, sie hatten schon einmal eine Niederlage erlitten und waren bereit, daraus einen Triumph zu machen und die langen Listen der Katastrophen und Zerstörungen, der Toten und Verwundeten als Maßstab ihrer Courage und ihrer Fähigkeiten auszulegen.
    Marshall, fand Deborah, bildete das notwendige Gegengewicht dazu. Sein scheinbar übertriebener Optimismus war beabsichtigt, eine Haltung, die die Menschen anspornte, dem Wind zu trotzen, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ihn zu verteidigen, statt sich hilflos von ihm überrennen zu lassen. Auch Deborah ließ sich von seiner Zuversicht anstecken.
    Auf dem Rückweg zu Marshalls Büro trafen sie Symington, der eine Fernschreibemeldung in der Hand hielt.
    »Schlechte Nachrichten, Sir. Das alte Hotel am Russell Square ist vor einer halben Stunde zusammengestürzt. Einige der Trümmer sind durch den Boden bis in die U-Bahn-Station der Piccadilly-Linie gebrochen. Schätzungsweise zweihundert Menschen sind im Keller des Russell umgekommen, und doppelt so viele in der U-Bahn-Station.«
    Marshall nahm den Streifen zur Hand und starrte ihn sekundenlang mit leerem Blick

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