Der Sturz aus dem Fenster
Vielleicht ging es bei den Bundesbehörden besser zu, aber bis dahin war Kate bisher noch nicht vorgedrun-gen. Die Geschichten, die sie über Wohlfahrtsämter und andere Ein-richtungen gehört hatte, die angeblich dem Wohle der Armen dienten, ließen einem die Haare zu Berge stehen. Und selbst dort, wo es nicht um die ganz Armen ging, um die es allerdings gehen sollte, herrschte nichts als menschenverachtende Ineffizienz. Wann immer Kate eine städtische Behörde betrat, fragte sie sich, warum sie immer noch in dieser Stadt lebte. Weil sie New York unsäglich vermissen würde und sich einfach nicht vorstellen konnte, irgendwo anders zu leben, war die Antwort, auch wenn es kaum eine angemessene war.
Durch ihre Ehe waren Kate so manche unerfreulichen Zusammen-stöße mit den Behörden der Stadt erspart geblieben. Alles, was zum Beispiel mit Auto an- und -abmeldungen etcetera zu tun hatte, über-nahm Reed. Von ihm hatte sie mit Schaudern erfahren, daß Leute mit den entsprechenden Finanzen Firmen anheuerten, die Behörden-gänge für sie erledigten. Die dafür Angestellten standen natürlich nie irgendwo Schlange. Italo-amerikanische Freunde hatten Kate versichert, daß New York von Tag zu Tag mehr einer italienischen Groß-
stadt ähnelte und jeder wüßte, wie in Italien Geschäfte gemacht wurden. Aber die Mißstände in den Behörden waren noch nichts verglichen mit den katastrophalen Verhältnissen an den Schulen, und so weiter und so weiter.
Das Polizeirevier war nicht dazu angetan, Kates bittere Gedanken zu vertreiben. Während sie dem hinter dem Tresen sitzenden Beamten ihr Anliegen vortrug, fragte sich Kate nicht zum ersten Mal, wie die Polizei die Aufklärung von ein oder zwei Morden vorantreiben sollte, wenn sie unter diesen Bedingungen arbeitete. Glücklicherweise setzte die Ankunft der beiden Kommissare diesem deprimierenden 135
Gedanken ein Ende. Sie führten Kate in einen Verhörraum, wobei sie sich vorkam (schon wieder wie im Fernsehen?), als sei sie ein widerwilliger Zeuge oder ein verstockter Täter.
»Eigentlich habe ich nichts Wichtiges auf dem Herzen«, sagte sie, nachdem alle Platz genommen hatten. Den angebotenen Kaffee und die Zigarette lehnte Kate ab. Sie hatte erwartet, daß die beiden Kommissare ärgerlich würden, aber deren Haltung signalisierte eindeutig: Wir sitzen hier unseren Dienst ab, und ob wir mit Ihnen reden oder sonst was tun, ist uns egal.
Aber sie waren nicht nur gelassen. Sie hatten auch Neuigkeiten: Humphrey Edgerton sollte zum Verhör vorgeladen werden. Der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen – so würden sie es ihm erklä-
ren.
»Welche Ermittlungen?« fragte Kate und gab sich Mühe, ruhig zu klingen.
»Er hat kein Alibi für die Zeit, als ein schwarzer Mann mit Arabella im Fahrstuhl ihres Elternhauses gesehen wurde.«
»Darum geht’s also. Und deshalb verdächtigen Sie ihn?«
»Von Verdächtigung war nicht die Rede«, sagte der jüngere Polizist. »Wir wollen ihn einfach fragen, wo er war. Ich weiß nicht, was bei Ihren Befragungen herausgekommen ist«, fügte er hinzu, »aber unsere haben ergeben, daß Mr. Edgerton sich gewisse Sorgen machte über das, was Arabella im Schilde führte. Vielleicht trafen sie sich bei ihr, um darüber zu sprechen, und das Gespräch wurde ein wenig hitzig.«
»Es gab mal einen großen Schauspieler«, sagte Kate. »Er vertiefte sich in seine Rollen. Als er den Othello spielte, soll er sich den ganzen Körper schwarz geschminkt haben.«
»Was bedeutet?« sagte der Altere und kaute auf einem Zahnstocher.
»Es bedeutet, daß schwarz zu wirken nicht gerade schwer ist.
Haben Sie Laurence Olivier als Othello gesehen? Der war durch und durch schwarz.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Nein. Ich glaube – vielmehr ich hoffe –, daß Sie Witze machen.
Der Polizei wird nicht gerade selten Rassismus vorgeworfen. Und Sie sollten lieber vorsichtig sein, oder Sie werden es mit einem dieser berühmten schwarzen Anwälte zu tun bekommen, deren Namen mir im Moment entfallen sind. Und wenn sich einer einschaltet, so wird er meine volle Unterstützung haben.«
136
»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
»Den habe ich tatsächlich. Genau deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen.« Kate machte eine Pause; und der ältere Polizist bot ihr einen Zahnstocher an. Sie nahm ihn, drehte ihn zwischen den Fingern und brach ihn schließlich in einer Hand in der Mitte durch, so wie sie es früher im Kino gesehen hatte.
»Haben Sie auch Matthew Nobles
Weitere Kostenlose Bücher