Der Sturz - Erzählungen
Die Frau des Transportministers liege im Sterben, entgegnete der Oberst salutierend. »Hauen Sie wieder ab«, sagte A. Der Oberst verschwand. »Geh, L!«
sagte A, »das mit den Mätressen ist ein grober Scherz gewesen, ich nehme ihn zurück. Ich weiß, deine Frau war für dich wichtig. Geh zu ihr, die Sitzung ist ohnehin beendet.« So menschlich A’s Worte klangen, die Furcht des Transportministers war zu groß, er glaubte ihnen nicht. Das Denkmal kannte in seiner Verzweiflung und in seiner Trunkenheit nur noch die Flucht nach vorne. Er sei ein alter Revolutionär, schrie er, sich wieder in die Höhe stemmend, seine Frau sei zwar im Spital, das wüßten alle, aber sie habe die Operation gut überstanden, er gehe nicht in die Falle. Von Anbeginn sei er in der Partei gewesen, vor A, vor C und vor B, die nur erbärmliche Empor-kömmlinge seien. Er habe schon in einer Zeit für die Partei gewirkt, wo es gefährlich gewesen sei, in ihr zu sein, lebensgefährlich. Er habe in erbärmlichen, stinkenden Zuchthäusern gesessen, wie ein Tier angekettet, und Ratten hätten nach seinen blutigen Fußgelenken geschnappt. Ratten, schrie er immer wieder, Ratten! Seine Gesundheit habe er ruiniert im Dienste der Partei, er sei um ihretwillen zum Tode verurteilt 27
worden. »Das Erschießungskommando war schon aufmar-schiert, Genossen«, heulte er, »es stand mir schon gegenüber.«
Nach seiner Flucht, lallte er weiter, sei er untergetaucht, immer wieder sei er untergetaucht, bis die große Revolution gekommen sei, bis er an der Spitze der Revolutionäre mit einem Revolver und einer Handgranate den Palast gestürmt habe.
»Mit einem Revolver und einer Handgranate habe ich Geschichte gemacht, Weltgeschichte«, brüllte er und war nicht mehr zu bändigen, seine Verzweiflung und seine Wut hatten etwas Großartiges; obgleich versoffen und heruntergekommen, schien er jetzt wieder der alte, berühmte Revolutionär geworden zu sein, der er einst gewesen war. Er habe gegen eine verlogene und korrupte Ordnung gekämpft und für die Wahrheit sein Leben eingesetzt, fuhr er in seiner wilden Tirade fort.
Er habe die Welt verändert, um sie besser zu machen, es habe ihm nichts ausgemacht, zu leiden und zu hungern, verfolgt und gefoltert zu werden, er sei stolz darauf gewesen, denn er habe gewußt, auf der Seite der Armen und der Ausgebeuteten zu stehen, und es sei ein herrliches Gefühl gewesen, auf der richtigen Seite zu stehen, doch jetzt, wo der Sieg errungen worden sei, wo die Partei die Macht übernommen habe, jetzt stehe er auf einmal nicht mehr auf der richtigen Seite, auf einmal stehe auch er auf der Seite der Mächtigen. »Die Macht hat mich verführt, Genossen«, rief er aus, »zu welchen Verbrechen habe ich nicht schon geschwiegen, welchen von meinen Freunden habe ich nicht schon verraten und der Geheimpolizei ausgeliefert? Soll ich weiter schweigen?« O sei verhaftet worden, fuhr er fort, plötzlich bleich, erschöpft und leise, das sei die Wahrheit, die allen bekannt sei, und er verlasse nicht den Raum, weil man auch ihn im Vorzimmer verhaften wolle, weil das angebliche Sterben seiner Frau nur eine Lüge sei, um ihn aus dem Sitzungszimmer zu locken. Mit diesen Worten, die einen Verdacht aussprachen, der für alle nicht unbegründet war, ließ er sich in den Sessel zurückfallen.
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Während so L in tollem Trotze aufbegehrte, im Bewußtsein seiner hoffnungslosen Lage, enthemmt von jeder Vorsicht, die ihm nutzlos erscheinen mußte; während alle versteinert dem gespenstischen Schauspiel beiwohnten, das ein Riese bei seinem Untergang darbot; während in jeder Pause, zwischen den ungeheuerlichen Sätzen, die L ausstieß, Marschall H aus jämmerlicher Furcht, in den Untergang des Denkmals hinein-gerissen zu werden, immer wieder »Nieder mit den Feinden im Schoße der Partei« schrie; während der Staatspräsident endlich, Marschall K, kaum hatte L geendet, eine überschwengliche Erklärung seiner immerwährenden Treue A gegenüber abgab; während all dieser Vorgänge überlegte sich N, wie sich nun wohl A verhalten würde. A saß gelassen da und rauchte seine Pfeife. Es war ihm nichts anzumerken. Und doch mußte etwas in ihm vorgehen. N war sich zwar noch nicht darüber im klaren, inwieweit L’s Protest A bedrohen konnte, doch fühlte er, daß A’s Überlegungen für dessen zukünftige Stellung und für die zukünftige Entwicklung der Partei entscheidend sein würden und daß man vor einem Wendepunkt stehe, nur wußte N nicht,
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