Der Sturz - Erzählungen
Briefmarken zur Friedenskonferenz anführen
–, geschah etwas Unerwartetes.
A hatte eben seine Pfeife ausgeklopft, was immer als Zeichen galt, daß er die Sitzung des Politischen Sekretariats für beendet hielt und keine Diskussion wünschte, als der Transportminister L das Wort ergriff, ohne sich vorher gemeldet zu haben. Der Transportminister erhob sich mühsam. Seine Trunkenheit hatte offenbar zugenommen. Er wies darauf hin, leicht lallend und zweimal ansetzend, daß O fehle und daß darum die Sitzung des Politischen Sekretariats noch gar nicht habe beginnen können.
Es sei schade um A’s prächtige Rede, aber Satzung sei Satzung, auch für Revolutionäre. Alle starrten das Denkmal entgeistert an, das, über den Tisch geneigt, die Arme aufgestützt und trotzdem schwankend, A kampflustig musterte, das Gesicht mit den weißen, buschigen Augenbrauen und den grauen Bartstoppeln, bleich und maskenhaft. L’s Einwand war unsinnig, wenn auch formell richtig. Der Unsinn lag darin, daß der Einwand überflüssig war, durch A’s ausführliche Rede hatte die Sitzung schon begonnen, und er lag darin, daß der Transportminister mit seinem Protest so tat, als wisse er nichts von O’s und von seiner eigenen möglichen bevorstehenden Verhaftung. Was N jedoch stutzig machte, war der schnelle Blick, den A, die Pfeife wieder stopfend, C zuwarf. Im Blicke A’s lag ein seltsames Erstaunen, das N vermuten ließ, A wisse als einziger nicht, daß alle von O’s Verhaftung wußten, worauf sich die Frage aufdrängte, ob nicht die Nachricht von O’s Verhaftung vom Chef der Geheimpolizei selber stamme und gegen den Willen A’s erfolgt sei, aber auch, ob der Außenmi-25
nister B, der allen andern Mitgliedern des Politischen Sekretariats gegenüber O’s Nichterscheinen erwähnt hatte, nicht mit C
ein Bündnis geschlossen haben könnte. Die Vermutungen N’s wurden durch A’s Entgegnung nicht völlig widerlegt. Es sei gleichgültig, antwortete nämlich A, vor sich wieder Wolken seines englischen Tabaks Balkan Sobranie Smoking Mixture hinpaffend, es sei gleichgültig, ob O erschienen sei oder nicht, und auch der Grund seines Fehlens spiele keine Rolle, O sei bloß ein nicht stimmberechtigter Anwärter, und die gegenwärtige Sitzung habe nichts als die Auflösung des Politischen Sekretariats zu beschließen, was sie beschlossen habe, da sich keine Gegenstimme erhoben hätte, ein Beschluß, wozu O’s Anwesenheit nicht vonnöten gewesen sei.
L, plötzlich entmutigt und müde, wie es bei Betrunkenen vorkommt, wollte wieder in den Sessel zurücksinken, als der Boss der Geheimpolizei C trocken bemerkte, der Atomminister hätte offenbar wegen einer Erkrankung nicht kommen können, eine schamlose Lüge, die, falls C wirklich die Nachricht von O’s Verhaftung verbreitet hatte, nur beabsichtigen konnte, L
wiederum zu reizen, um dessen Verhaftung vorzubereiten.
»Krank?« schrie denn auch L, sich auf den linken Vorderarm stützend und mit der rechten Faust auf den Tisch trommelnd,
»krank, wirklich krank?« – »Wahrscheinlich«, bemerkte C aufs neue kaltblütig und ordnete irgendwelche Papiere. L ließ ab, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, setzte sich, stumm vor Wut. In der Türe, hinter F und H, erschien der Oberst, was gegen jede Gewohnheit war, niemand hatte während der Sitzung des Politischen Sekretariats das Recht, das Zimmer zu betreten. Der Auftritt des Obersts mußte etwas Besonderes ankündigen, einen Alarm, ein Unglück, eine Meldung von größter Wichtigkeit. Um so überraschender war es daher, als der Oberst nur gekommen war, L zu bitten, in einer dringlichen persönlichen Angelegenheit hinauszukommen. – Er solle 26
verschwinden, schnauzte L den Oberst an, der zögernd gehorchte, nicht ohne den Chef der Geheimpolizei anzublicken, als ob er von ihm Hilfe erwarte, doch war C immer noch mit seinen Papieren beschäftigt. A lachte, L habe wohl wieder einmal zu viel gesoffen, meinte er gutmütig in seiner jovialen, groben Sprache, die er dann gebrauchte, wenn er guter Laune war, L solle machen, daß er rauskomme, und seine privaten Angelegenheiten erledigen, ob irgendeine seiner Mätressen niedergekommen sei? Alles lachte dröhnend, nicht weil man A’s Worte komisch fand, aber die Spannung war so groß, daß jeder einen Ausweg suchte, auch wollte man unbewußt L den Rückweg erleichtern. A ließ durch die Sprechanlage den Oberst wieder hereinbitten. Der Oberst erschien aufs neue. Was denn geschehen sei, fragte A.
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