Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
Anschein nach war Ferguson der erste und einzige Tatverdächtige gewesen. Die Polizei hatte ihn kurz nach der Entdeckung der Leiche aufgrund der Ähnlichkeit seines Wagens mit der Beschreibung seitens der Lehrerin festgenommen. Man hatte ihn verhört – von Isolationshaft oder Prügel stand in den Meldungen nichts. Außer dem Geständnis, einem Blutgruppenvergleich sowie der Identifizierung des Fahrzeugs schien es keine Beweise zu geben, doch Cowart hütete sich vor übereilten Schlüssen. Prozesse entfalteten, wie großes Theater, ihre eigene Dynamik, und so konnte ein Detail im Rahmen einer Zeitungsmeldung belanglos oder fragwürdig erscheinen, vor Gericht dagegen für das Urteil eines Geschworenen den letzten Ausschlag geben.
Den Urteilsspruch des Richters hatte Ferguson korrekt wiedergegeben, und das Zitat »… ein Tier, das man am besten gleich draußen vor dem Gerichtsgebäude erschießen sollte« war eine Kernaussage des Berichts. Wahrscheinlich kämpfte er in dem Jahr um seine Wiederwahl, vermutete Cowart.
Die anderen Funde aus dem Archiv lieferten ein paar Zusatzinformationen – vor allem, dass Fergusons erste Berufung gegen den Schuldspruch vom Berufungsgericht des Bezirks wegen einer klaren Beweislage gegen ihn abgewiesen wurde, was nicht anders zu erwarten gewesen war. Eine Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof des Bundesstaates stand noch aus. Cowart brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Ferguson sich noch nicht wirklich auf den beschwerlichen Weg durch die Instanzen begeben hatte. Ihm standen noch zahllose Berufungsmöglichkeiten offen, er musste sie nur in Angriff nehmen.
Cowart lehnte sich zurück und versuchte, sich anhand der gewonnenen Erkenntnisse ein Bild davon zu machen, was sich damals abgespielt hatte.
Er hatte einen ländlich geprägten, hinterwäldlerischen Bezirk von Florida vor Augen. Er wusste, dass dieser Teil von Florida nicht das Geringste mit dem Klischee vom Sunshine State zu tun hatte, mit seinen gepflegten, lächelnden Gesichtern einer Mittelschicht, die es scharenweise nach Orlando und in die Disney World zog, oder mit den Studenten, die sich in den Frühlingsferien an den Stränden mit Bier abfüllten, und ebenso wenig mit den Touristen, die es in ihren Wohnmobilen zu den Raketenstarts nach Cape Canaveral zog. Und mit dem kosmopolitischen, lässigen Lebensstil von Miami, das sich als eine Art amerikanisches Casablanca verstand, hatte es schon gar nichts zu tun.
In Pachoula gewinnt, auch in den achtziger Jahren, ein urzeitliches, primitiveres Amerika die Oberhand, wenn ein kleines weißes Mädchen vergewaltigt und ermordet wird, und zwar von einem schwarzen Mann. Ein Amerika, das man lieber verdrängt.
War das im Fall Ferguson geschehen? Verwunderlich wäre es nicht. Cowart griff zum Telefon, um den Anwalt anzurufen, der mit Fergusons Berufung betraut war.
Es dauerte fast den gesamten restlichen Vormittag, um zu dem Anwalt durchzukommen. Als Cowart den Mann endlich an der Strippe hatte, musste er sich erst einmal an den butterweichen, gedehnten Südstaatenakzent gewöhnen.
»Mr. Cowart, Black am Apparat. Wie kommen wir zu der Ehre, dass sich ein Journalist aus Miami für Ereignisse hier oben in Escambia interessiert?«
»Danke, dass Sie zurückrufen, Mr. Black. Ich bin auf einen Ihrer Klienten aufmerksam geworden. Einen Robert Earl Ferguson.«
Der Anwalt stieß ein kurzes Lachen aus. »Also, ich dachte mir gleich, dass es um Mr. Ferguson geht, als mir mein Telefonmädel die Nachricht ausrichtete, die Sie auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatten. Was wollen Sie denn wissen?«
»Vielleicht erzählen Sie mir erst ein bisschen über das Verfahren.«
»Na ja, im Moment liegt die gesamte Akte beim Obersten Gerichtshof. Wir machen geltend, dass das vorliegende Beweismaterial gegen Mr. Ferguson für eine Verurteilung ziemlich dürftig war. Und wir sagen klipp und klar, dass der erstinstanzliche Richter sein Geständnis nie hätte zulassen dürfen. Das sollten Sie mal lesen. Vielleicht das zweckdienlichste Dokument, das ich je gesehen habe. Fast, als hätten sich’s die im Sheriff’s Department aus den Fingern gesogen. Und ohne dieses Geständnis reicht es niemals für eine Anklage. Wenn Robert Earl nicht sagt, was sie von ihm hören wollen, bekommen sie bei einer Anhörung keine zwei Minuten. Nicht mal vor dem schlimmsten, hinterwäldlerischsten, rassistischsten Gericht der Welt.«
»Und die Blutprobe?«
»Das Kriminallabor in Escambia ist höchst
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