Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Worte, die ich geschrieben habe – Bilder oder vielleicht Empfindungen, die in meinem Kopf entstanden. Mit der Hand verdecke ich das Blatt. Ein Fehler; dadurch habe ich ihre Neugier erst geweckt. Ich sehe auf meine Armbanduhr. »Ungefähr halb zwölf«, sage ich.
»Fast Viertel vor zwölf.«
»Elf Uhr siebenunddreißig«, korrigiere ich sie.
»Du hast morgen Schule. Das weißt du doch.«
»Ja, ich weiß.«
Sie bleibt beharrlich: »Die Weihnachtsferien sind vorbei.«
Allerdings, das weiß ich nur zu gut. Schon wieder Januar. Mit dem Wecker noch vor Sonnenaufgang aus dem Bett, dann mit dem Bus durch den tristen, grauen Morgen zur Schule. Dabei das lesen, was ich am Abend zuvor nicht geschafft habe. Dann von Stunde zu Stunde schleppen, von Langeweile zu Langeweile, die Augen schwer von all dem Schlaf, der mir fehlt. Elfte Klasse. Letzten Monat bin ich sechzehn geworden.
Sie steht neben mir, stützt sich auf meine Lehne, berührt mich mit den Fingern an der Schulter. Ich beuge mich vor. Es macht mich nervös, wenn meine Mutter mich anfasst. Ich rieche die säuerliche Krankheit ihres Körpers. Ich drehe mich nicht um, aber ich sehe sie vor meinem geistigen Auge: spindeldürre Glieder, ausgemergeltes Gesicht. Ihre dicke Cat-Eye-Brille mit den tränenförmigen Gläsern. Ich trage auch eine Brille.
»Was schreibst du?«
»Ach … was für den Englischunterricht.«
»Englisch war mein bestes Fach«, sagt sie.
Als sie auf der Highschool war, vermute ich. Englisch ist auch mein bestes Fach. Die Lehrer sagen, wenn ich schreibe, klinge ich fast wie ein Erwachsener.
»Eine Geschichte?«, fragt meine Mutter, beugt sich über mich und versucht zu lesen, was ich geschrieben habe.
»Mehr oder weniger. Wir sollen … eine Art Tagebuch schreiben.« Ich denke mir etwas aus. »Über jemanden, der wir sein könnten.«
»Eine Geschichte«, sagt sie, als sei das daraus zu schließen. Als würde sie mich noch immer in- und auswendig kennen, von Kopf bis Fuß, wie damals, als ich noch klein war.
Aber dies ist keine Geschichte. Und es hat rein gar nichts
mit irgendwelchen Hausaufgaben zu tun. Wenn ich eine Geschichte schreibe, kenne ich die Wendungen schon vorher. Ich weiß, wie sie ausgehen wird. Dieses … Tagebuch – so könnte man wohl sagen – kommt von einem Ort, den ich noch nicht kenne, und es entfaltet sich in mir, Stück für Stück, sodass ich nie über die nächste Falte hinaussehen kann.
»Du weißt, dass es Daddy aufregt«, sagt sie.
»Was regt ihn auf?«
»Dass du die halbe Nacht wach bist. Abend für Abend.«
Und nie mal mit Mädchen ausgehst wie ein richtiger Junge. Ich weiß, wie mein Vater denkt. Sechzehn – in dem Alter sollte man mit Mädchen ausgehen. Ich gehe nicht mit Mädchen aus, also bin ich sonderbar. Anormal. Nicht wirklich sein Sohn. Ich beschäftige mich mit UFOs, das macht mich seltsam. Ich befasse mich auch mit der Bibel, das macht mich noch seltsamer. Er hat keine Ahnung, was ich durchzustehen habe.
Sie aber auch nicht, obwohl sie meistens netter zu mir ist. Ich taste mit der Hand nach meiner Brieftasche. Sobald Mutter weg ist, werde ich sie hervorholen und mir die Karte ansehen.
»Danny!«
Seine ärgerliche Stimme kommt aus dem Arbeitszimmer. »Was ist, Dad?«, rufe ich zurück.
»Wie lange willst du denn noch aufbleiben?«
»Vielleicht noch eine halbe Stunde.«
Ich höre ihn vor sich hin grummeln. Ich höre alles, was in diesem Haus vor sich geht – in dieser kleinen Pappschachtel, in der wir drei wohnen, die Zimmer dicht gedrängt, ohne Türen, bis auf die Schlafzimmer und das Bad. Vor zehn Jahren sind wir hier eingezogen, nach dem Herzinfarkt, weil in diesem Haus alles ebenerdig ist. Meine Mutter kann keine Treppen steigen.
Sie nickt mir zu, als wollte sie sagen: Hast du gehört? Eine halbe Stunde. Du hast es versprochen.
Kommt diese Geschichte – dieses Tagebuch oder was es auch sein mag – aus irgendeiner UFO-Welt? Einer alternativen Wirklichkeit, in der ich immer noch Danny Shapiro bin und Jeff Stollard und Rosa Pagliano immer noch die Menschen sind, die sie in meinem Leben waren? In der wir Dinge sagen, Dinge tun, Dinge erleben, die jenseits der normalen Realität Gewicht haben?
Möglich wäre es. Ich habe Artikel über Automatisches Schreiben gelesen, über Hexenbretter und Kommunikation unserer Seelen mit dem Jenseits. Die meisten Artikel sind unglaubwürdig. Diese Leute sind doch Spinner. Ich bin ein wissenschaftlicher Ufologe. Wenn wir das Rätsel
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