Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
Vom Netzwerk:
PC-Bildschirm? Diese nicht ganz ernst gemeinte Überlegung verwarf ich jedoch sofort, als ich den Karton anhob: Er war federleicht. Was konnte sich darin verbergen? Er wog praktisch nichts. Ich öffnete ihn aus irgendwelchen Gründen mit großer Vorsicht – und auf seinem Boden lag lediglich ein Briefumschlag. »Geld?«, sagte ich zu Marie.
    Sie lachte und meinte: »Na, mach ihn mal auf.« Es war eine Reise. In dem Umschlag steckten zwei Flugtickets und ein Hotelgutschein. Sie hatte mir, oder besser uns, eine Reise geschenkt. In meine Traumstadt. Vier Tage Rom! Mit Marie! Großartig! Ich freute mich riesig.
    Die Geschenke der anderen waren nett gemeint, allerdings interessierten sie mich nicht besonders. Und den anderen ging es mit meinen Geschenken sicher ebenso. Dennoch waren wir alle in bester Laune. Erzählten und lachten wie die Verrückten. Tranken reichlich. Und so vergingen die Stunden. Draußen schneite es unaufhörlich. Ich saß auf Maries Couch, zwischen Jan und Alicia. Und mit zunehmender Alkoholisierung ertappte ich mich dabei, dass ich immer öfter auf die sensationellen Beine von Alicia schielte. Ihr ohnehin schon sehr kurzes Kleid war durch leichte Bewegungen während des Sitzens so weit nach oben gerutscht, dass mir beinahe der Atem wegblieb. Meine Blicke huschten über ihre Oberschenkel und verloren sich für Zehntelsekunden in der schwarzen Schlucht zwischen ihren Beinen.
    Gegen halb zwei waren Maries Bruder Marko und seine Freundin Nina so betrunken, dass sie sich entschlossen aufzubrechen. Marie rief ein Taxi und mit großem Palaver und mit Küsschen hier und Küsschen da verabschiedeten wir uns von den beiden.
    Jan war wahnsinnig aufgekratzt. Ich hatte den Verdacht, sprach ihn allerdings Marie gegenüber nicht aus, dass er kokste. Denn jedes Mal, wenn er von der Toilette kam, war er besonders gut gelaunt und gesprächig. Vermutlich zog er sich dort immer wieder ein Näschen rein, um so seinen Rauschpegel zu halten. Zudem soff er wie ein Irrer, wurde aber nicht betrunken. Ebenfalls ein Koks-Indiz.
    Um halb drei saßen wir zu viert nebeneinander auf der Couch: Jan, Marie, Alicia und ich, und grölten Weihnachtslieder. Bis Marie plötzlich sagte: »Ich kann nicht mehr, ich bin hundemüde, ich muss ins Bett, aber macht ruhig weiter, mich stört es nicht.« Sie gab uns allen einen Kuss, meinte noch zu mir: »Bis gleich, Schatz«, und ging zunächst ins Bad und dann in ihr Schlafzimmer. Wir sangen tatsächlich weiter. »Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen«, »Es ist ein Ros’ entsprungen«, »Ihr Kinderlein kommet«, »O Tannenbaum« – und zum x-ten Mal »Stille Nacht«. Irgendwann jedoch wurde es langweilig, und Alicia schlug vor, ein Spiel zu machen. Nun bin ich kein großer Freund von Spielen, aber sie sagte es so charmant, so hinreißend, dass ich sofort und beinahe begeistert zustimmte. Jan ging wieder mal zur Toilette und kam in einem derart euphorischen Zustand zurück, dass ich dachte, jetzt hat er ein ganzes Gramm Koks auf einmal geschnupft. Er stand vor uns, schaute lasziv und meinte: »Ihr seid ja ein total süßes Paar, wie ihr so dasitzt. Na ja, aber Lorenz ist ja vergeben, und wenn er nicht vergeben wäre, dann würde ich jetzt glatt mein Glück bei ihm versuchen.« Er machte ein paar Schritte auf mich zu und gab mir einen fast anzüglichen Kuss auf den Mund. Ich meinte seine Zunge für Sekunden auf meinen Lippen zu spüren, was mich im ersten Moment irritierte, aber dann lachten und gackerten wir alle durcheinander, und ich fand es durchaus okay. »Wisst ihr, Kinder«, sagte er dann, »ich muss heute noch was erleben, bei euch komme ich ja nicht auf meine Kosten, ich werd mal abhauen und mich ins Nachtleben stürzen, irgendwo wartet bestimmt ein einsames Männerherz auf mich.« Er war wirklich ein netter Kerl. Alicia und ich drückten unser Bedauern über seinen Entschluss aus, versuchten ihn noch zu überreden, bei uns zu bleiben, allerdings vergeblich. Er war scharf und wollte auf die Piste. Also begleiteten wir ihn bis in den Hausflur und wünschten ihm eine heiße Rest-Nacht. Ob ich damals seinen Entschluss zu gehen wirklich bedauerte, kann ich bis heute nicht sagen. Vermutlich ja, denn er war so eine Art Sicherheitsgarantie. In seiner Anwesenheit konnte nichts Schlimmes passieren. Seit Stunden nämlich tobte in mir die Gier. Die Gier nach Sex. Die Gier nach Alicia. Und ich bin sicher, sie hatte es längst gespürt und spielte damit. Zu zweideutig waren ihre Blicke, ihre

Weitere Kostenlose Bücher