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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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Welt.
    Oder bin ich der letzte Mensch?
     
    Seit den rätselhaften Vorkommnissen vor nunmehr knapp einem Monat lebe ich in absoluter Einsamkeit – und versuche meine Existenz zu retten. Was mir aber immer schwerer fällt.
    Ich zwinge mich, über all das, was geschehen ist, nicht nachzudenken. Weil ich es nicht aushalte. Mache ich es doch, wird die Verzweiflung so stark, dass ich Angst habe, den Verstand darüber zu verlieren. Schon zwei Mal war ich kurz davor, meinem Leben ein Ende zu setzen. Aber dann bäumte sich die Hoffnung wieder auf – und ich habe mich in Aktivitäten gestürzt, um zu vergessen, um mein Überleben zu sichern, um für noch Schlimmeres gewappnet zu sein.

2. EINTRAG
    Das Schreiben hier (ich tippe auf meiner alten Reiseschreibmaschine) tut mir gut. Es gibt mir das Gefühl, ein Gegenüber zu haben, einen Menschen, dem ich erzählen kann. Ich bin nicht so alleine, wenn ich schreibe. Den Gedanken, dass vielleicht nie jemand meine Aufzeichnungen finden und lesen wird, dulde ich nicht.
    Ich schreibe gegen den Tod. Nur darum geht es.
     
    Heute ist der dreißigste Tag. Wobei Tag wohl der falsche Begriff ist. Denn mit dem Schnee kam ja auch die Nacht. Seit vier Wochen herrscht absolute Dunkelheit. Die Sonne scheint also ebenfalls verschwunden zu sein. Und die Stadt versinkt im weißen Meer. Immer wieder schneit es. Mal sind die Flocken dicht und stürzen zu Boden, mal taumeln sie in großen Abständen voneinander durch die Luft, werden von leichtem Wind hin und her gewirbelt, um dann gleichfalls zur Erde zu schweben. Gibt es keinen Niederschlag, ist der Himmel grauschwarz, kein Stern ist zu sehen, nur dichte Wolkenmasse. Die Temperatur hat sich bei ungefähr minus elf Grad eingependelt, und die Schneehöhe in den Straßen beträgt inzwischen etwa anderthalb Meter, vielleicht auch mehr.
    Die ersten Tage beziehungsweise Nächte nach dem Unglück irrte ich wie ein Wahnsinniger umher, immer auf der Suche nach Spuren, nach Hinweisen, nach Menschen; in der Stadt und außerhalb, zu Fuß und einige Male mit einem Geländewagen. Den hatte ich irgendwo mitten auf einer Hauptstraße parkend entdeckt. Er war, wie alle Autos, die auf den Fahrbahnen herumstanden, unverschlossen gewesen, und der Schlüssel steckte im Zündschloss.
    Übrigens hat es mich immer wieder gewundert, nie ein Auto mit laufendem Motor vorgefunden zu haben. Stets waren die Zündschlüssel in der Aus-Position. Die Menschen konnten also nicht von einer Sekunde auf die andere verschwunden sein. Sonst wäre es ja auch zu schweren Unfällen gekommen. Kein Auto aber war, zumindest nach meinen Beobachtungen, in ein anderes gefahren. Folglich hatten die Fahrer ihre Fahrzeuge abgebremst und die Motoren sogar abgestellt. Das Unglück musste also während einer gewissen Zeitspanne passiert sein, vielleicht einer sehr kurzen, in der die Menschen anfangs noch zu agieren imstande gewesen waren.
     
    Die Erkundungsfahrten ins Umland meiner Stadt erfüllten mich mit Grausen. Noch unheimlicher erschien mir alles, noch viel verlorener kam ich mir in der fremden Umgebung vor. Und auch dort überall dasselbe Bild: Licht in Wohnungen und Geschäften, verlassene Kneipen, riesige Einkaufszentren ohne eine Seele und Autos überall auf den Straßen, die ich mühsam und kunstvoll umfahren musste. Ab und zu hielt ich an, stieg aus und suchte und suchte – angestachelt von der großen Sehnsucht nach Leben, nach Menschen. Vielleicht gab es ja doch irgendwo jemanden, dem es wie mir ergangen war. Alles aber blieb tot und gespenstisch.
    Einmal stoppte ich auf einer Landstraße, die durch einen Wald führte. Ich schaltete den Motor aus und entfernte mich von meinem Wagen. Mich trieb die wahnwitzige Überlegung an, vielleicht dort in der Natur irgendeinen Anhaltspunkt für das Geschehene zu finden. Es hatte aufgehört zu schneien. Es war, wie in der Stadt, absolut still. Zwischen den Tannen, so weit ich blicken konnte, stand starr ein abgrundtiefes Schwarz, das nur vom Schnee des Bodens durchbrochen wurde. Ich ging mit vorsichtigen Schritten, ging Meter um Meter tiefer hinein in das Nichts des kalten Waldes, all meine Gedanken verloren sich dabei. Ich hatte Scheu zu atmen. Und dann, urplötzlich, überfiel mich von hinten eine so fremde Angst, dass ich aus tiefster Seele hätte schreien mögen. Aber ich konnte nicht. Keinen, auch nicht den geringsten Laut brachte ich hervor. Ich war für Sekunden der Überzeugung, dass es nie Leben auf Erden gegeben hatte – und niemals

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