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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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nicht, woher solche düsteren Gedanken kamen, da ich mich doch in so einem seifenblasenartigen Zustand befand, mich eigentlich gewissermaßen sicher fühlte, sodass ich es wohl wagen konnte, auch etwas melancholischere Dinge in den Kopf zu lassen.
    Es hatte wohl kaum jemand etwas davon, und ich weiß auch nicht, warum ich es tat, aber ich brachte den verwaisten Kleidungsbestandteil jedenfalls nach unten in die U-Bahn-Station zum Kiosk. Dort glotzte das trotz seiner blau-gelben Dienstuniform irgendwie durch und durch pinke Mädchen den Strumpf zuerst angewidert an wie ein Rattenjunges, ging dann aber bei näherer Betrachtung dazu über, ihn eifrig zu bestaunen, ei, ei, was für ein süßer kleiner Strumpf, Ja, Hoffentlich kommt ihn jemand holen, Ja, Da fehlt einem kleinen Kerlchen jetzt die Socke, Hoffentlich wird ihm nicht kalt, Eben,Ja, Furchtbar wenn so ein Kleines frieren müsste, Stimmt, Wie schön dass Sie ihn aufgehoben und hergebracht haben, Na das freut mich, Aber das sind ja Sie, Was, Sie, Wer, Wir sind uns im Herbst begegnet, Stimmt, Drüben am Ufer, Genau, Ich war mit meiner Freundin dort, Genau so war es, Schön dass wir uns wiedersehen, Stimmt, Schon witzig wenn sich Unbekannte so wiedersehen, Das kann man sagen, Obwohl es ja schon irgendwie dieselbe Gegend ist, Ja, Trotzdem toll, Stimmt, Ach wenn nur jemand käme und den Strumpf abholen würde.
    »Ich wünsch Ihnen einen wunderbaren Winter!«, gurrte sie noch zum Abschied und forderte mich auf, wiederzukommen und zu fragen, ob jemand den Strumpf abgeholt hat. Ich versprach es. Am Ausgang, an der Grenze, wo die warme Innenluft und die von draußen einströmende massive Kälte sich verwirbelten, musste ich mir die Augen wischen.
    Nach einem wunderbaren Winter sah es allerdings aus. Irgendwie war es mir gelungen, mich zur falschen Treppe zu verirren, und nun stand ich an der Straßenbahnhaltestelle. Ich schaute auf den Marktplatz. Die Bäume, die ihn säumten, sahen schlicht und einfach unbeschreiblich schön aus in ihrer weißen Hülle. Das gleiche Weiß kräuselte sich um die Antennen auf den Dächern. Plötzlich war es dunkel geworden. Hinter dem Nachbarviertel Kruununhaka spitzte bereits ein schüchterner Mond hervor, und auch er trug eine Art Heiligenschein.
    Eine Weile brauchte ich dafür, mich über all die Leere mitten in Hakaniemi zu wundern, am Nachmittag, noch vor Ende der Stoßzeit. Dann fiel mir ein, dass Sonntag war. Ich buddelte in der Handtasche nach etwas, ich weiß nicht, nach was, dabei stieß ich auf das herzzerreißende Geschenk von Virtanen.
    Erst jetzt begriff ich, was bevorstand, dass nämlich bald Weihnachten war. Nicht dass mich deswegen Panik ergriffen hätte, aus der Abteilung hatte ich erst mal genug gehabt, aber obschon ich Weihnachten seit Jahren nicht mehr groß gefeiert hatte, so löste es doch immer etwas in mir aus. Geschenke! Die Geschenke waren noch nicht verteilt.
    Angesichts der abrupt offenbar gewordenen Vorweihnachtlichkeit war die Stadt sonderbar still und leer – lag es an den mehr als zwanzig Grad minus oder was hielt die Menschen in den Häusern, jedenfalls kam mir kaum einer entgegen, als ich von der Straßenbahnhaltstelle zum Sparkassenufer stapfte. Ich ging auf der Uferseite, die Pfluggeräte waren noch immer nicht bis dorthin vorgedrungen, gut so, denn ein sympathischer Trampelpfad schlängelte sich die Bucht entlang, darauf ging es sich schön. Auf einer Bank hatte jemand ein Areal von der Größe eines Hinterteils herausgeschält, sodass mitten auf dem imposant beschneiten Gruppensitzmöbel eine durchaus einladende Vertiefung klaffte. Mit langen Schritten ging ich in den bereits vorhandenen Fußspuren zur Bank, kramte die Gratiszeitung aus der Handtasche, legte sie zur Isolierung in die Senke und setzte mich. Es war seltsam bequem, sozusagen ergonomisch, ein bisschen so, als würde man in einem weichen, eierförmigen Sessel sitzen.
    Ich saß lange dort. Vor mir sah ich die Form eines Bootes, das in der Umzingelung des Eises zurückgeblieben war. Als Boot erkannte man den weißen Haufen eigentlich nur an dem orangefarbenen Seil, das sich zu einer Befestigungsvorrichtung hinwand. Man hörte fernes Verkehrsrauschen, das Kältequietschen der Züge jenseits der Bucht und das Flüstern und Knistern des Frosts in den Bäumen und Büschen. Ein einzelnerHund rannte quer über die zugefrorene Bucht, und kurz darauf kam ein unglaublich langsamer Altmensch hinterhergebuckelt. Über den Baiser-Bäumen erhoben sich zig

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