Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Talisman (German Edition)

Der Talisman (German Edition)

Titel: Der Talisman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth von Bismarck
Vom Netzwerk:
der kleinen Reinkarnation nähte ihm zehn Goldtaler in seine Jacke ein. Beladen wie ein Packesel brach Yasha an einem kühlen Morgen auf, um den geheimnisvollen Ort Kapilavastu zu suchen.
    Wo liegt Kapilavastu? Yasha nahm den Talisman ganz fest in beide Hände und sagte: »Ich wünsche, ich wünsche, ich wünsche nach Kapilavastu zu gelangen!« Doch nichts geschah. Schlief der Talisman noch? Yasha versuchte es nochmal. »Lass mich bitte nicht im Stich, lieber Talisman! Wach doch auf! Ich möchte nach Kapilavastu!«, lockte Yasha.
    Der steinerne
    Schmetterling ließ sich
    ziemlich lange bitten, bis er auf Yashas Flehen reagierte: »Yasha, ich kann dir nicht jeden Wunsch erfüllen, du musst auch selber etwas tun! Als du eine Welle warst, hast du gelernt, eine Welle der Donau zu sein. Als du die Mönche am Mount Everest getroffen hast, bist du durch die Kraft deines eigenen Willens geflogen! Und nun laufe in Richtung Süd-Südwest, mein Junge! Wenn du meine Hilfe wirklich brauchst, bin ich für dich da!« Das war eine sehr lange Rede für den Talisman. Schließlich weiß ja jeder, dass steinerne Wesen ausgesprochen wortkarg sind.
    Während Yasha sich mit dem Talisman herumärgerte und verbissen in Richtung Süd-Südwest wanderte, saß der Schwarzmagier Olav Zürban in seiner Baumruine mitten im Halbdunkelwald. Obwohl inzwischen viele Jahre vergangen waren, seit er den Bann über Yasha und seine Eltern ausgesprochen hatte, war es ihm nicht gelungen, den Jungen zu finden. Olav Zürban hatte hunderte seiner schwarzen Schmetterlinge auf die Suche nach Yasha geschickt. Und jetzt, nach 13 Jahren, war der letzte seiner flatternden Spione erfolglos in die düstere Behausung der Baumruine zurückgekehrt. Wütend schlug Olav Zürban mit seinem Zauberstab auf den Tisch. Kleine Wolken von Wexelstaub und Schwindibus-Pulver stiegen in die Luft. Ungeduldig wedelte der Schwarzmagier mit der Hand durch die glitzernde Wolke. Der schwarze Schmetterling schwirrte eilig davon. Wenn sein Meister in dieser Stimmung war, ging man ihm besser aus dem Weg. Die Dvorachs mussten ihrem Sohn den verfluchten Talisman dagelassen haben. Einen anderen Grund konnte es nicht geben, dass seine Spione den Jungen nicht finden konnten. Olav Zürban schüttelte sich, denn das war eine unangenehme Vorstellung. Die Magie des steinernen Schmetterlings war für ihn kaum zu überwinden. Es ließ sich nicht länger aufschieben, er würde sich mit seiner verhassten Schwester aussöhnen müssen. Die dunkle Seherin musste ihm erlauben, sein braunes Auge in die kalte Quelle der Zeit zu legen. Ja, und dann würde er sehen, wo der Bengel gerade steckte. Wenn Yasha den Talisman hatte, nun, dann würde er, Olav Zürban, eben dafür sorgen müssen, dass der Junge ihn irgendwie verlor. »Kinder verlieren doch so oft etwas!« Die Augen des Schwarzmagiers begannen bei diesem Gedanken böse zu funkeln, das eine braun, das andere blau.
    »Das tue ich,
    um meine Eltern zu finden!
    Nur darum! Ich kann, ich kann, ich kann! Und ich will, ich will, ich will!«, murmelte Yasha verbissen vor sich hin.
    Er hatte die wenigen Bergbauern, die er unterwegs getroffen hatte, nach Kapilavastu gefragt. Doch sie schüttelten alle bedauernd ihre Köpfe und sagten, er solle lieber bei ihnen bleiben, es sei gefährlich für einen kleinen Jungen, allein durch die Berge zu wandern. Überall lauern böse Geister auf die Reisenden. Wie alle Himalaya-Bewohner waren sie sehr abergläubisch. Yasha kaufte ihnen mit den Münzen, die ihm die Mutter der kleinen Reinkarnation gegeben hatte, einige Lebensmittel ab und zog weiter. Er folgte schmalen Pilgerpfaden, wanderte über karges, steiniges Gelände, überwand Passstraßen, ging durch bewaldete Täler, entlang an rauschenden Bächen. Schnell wurden aus Tagen Wochen.
    Das Holz, um abends ein kleines Feuer zu machen, sammelte Yasha in der Nähe seines Lagerplatzes. Wenn er müde wurde, rollte er sich in seine warme Wolldecke und schlief unter freiem Himmel. Morgens wusch er sich in einem der vielen klaren Bäche. Versonnen betrachtete Yasha dabei seine Füße. Am Anfang der Wanderung waren sie vom vielen Laufen ganz wund gewesen und er hatte furchtbare Schmerzen gehabt. Aber nun bildete sich eine dicke Hornschicht und er konnte endlos laufen, ohne zu ermüden.
    Trotzdem fragte
    sich Yasha wohl
    zum hundertsten Mal : »Wie weit muss ich noch gehen, um Kapilavastu und meine Eltern zu finden?« Und wie jeden Morgen verdrängte er diese Frage und sagte laut zu sich

Weitere Kostenlose Bücher