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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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schneller; das Geräusch, das er dabei machte, glich einem wütenden Zischen. Jack starrte hinunter, zuerst fasziniert, dann entsetzt. Der Sand öffnete sich wie ein großes, dunkles Auge; es war das Auge der Möwe, die die Muschel auf den Stein geschmettert und dann das lebendige Fleisch herausgezerrt hatte wie ein Gummiband.
    Der Sandstrudel verhöhnte ihn mit seiner toten, trockenen Stimme. Diese Stimme war keine Einbildung. So sehr sich Jack auch wünschte, sie existierte nur in seinem Kopf – diese Stimme war wirklich. Seine falschen Zähne flogen heraus, als der WILD CHILD-Wagen ihn traf, Jack, in hohem Bogen! Yale oder nicht Yale, wenn der alte WILD CHILD-Wagen kommt und dir die falschen Zähne aus dem Mund schlägt, dann bist du dran. Und deine Mutter …
    Da rannte er wieder, blindlings, ohne zurückzublicken, mit aus der Stirn gewehtem Haar und entsetzt geweiteten Augen.
     
    4
     
    Jack durchquerte die Hotelhalle, so schnell er konnte. Die Atmosphäre des Raums verbot ihm das Rennen; er war so still wie eine Bibliothek, und das graue Licht, das durch die hohen Sprossenfenster einfiel, ließ die ohnehin verblichenen Teppiche noch blasser und verschwommener erscheinen. Jack fiel in Trab, als er die Rezeption passierte, und der krummrückige, aschengesichtige Tagesportier wählte genau diesen Augenblick, um aus einem holzverkleideten Bogengang hervorzutreten. Der Portier sagte nichts, aber in seinem stets missmutigen Gesicht verzogen sich die Mundwinkel einen weiteren Zentimeter nach unten.
    Jack war, als wäre er beim Rennen in der Kirche ertappt worden. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und zwang sich, den Rest des Weges bis zum Fahrstuhl in normaler Gangart zurückzulegen. Er drückte auf den Knopf; der finstere Blick des Portiers schien sich zwischen seinen Schulterblättern einzubrennen. Das einzige Lächeln, das Jack in dieser Woche auf dem Gesicht des Portiers gesehen hatte, war erschienen, als der Mann seine Mutter erkannt hatte. Lily hatte mit ihrem Mindestmaß an Huld darauf reagiert.
    »So alt muss man wohl sein, um sich an Lily Cavanaugh zu erinnern«, hatte sie zu Jack gesagt, als sie in ihren Zimmern allein waren. Es hatte eine Zeit gegeben – und sie lag gar nicht so lange zurück –, in der das Erkanntwerden nach einem der rund fünfzig Filme, die sie in den fünfziger und sechziger Jahren gedreht hatte (»Königin des B-Films« hatte man sie genannt; ihre eigene Version »Liebling der Drive-in-Kinos«) – ob durch einen Taxifahrer oder die Dame, die bei Saks am Wilshire Boulevard Blusen verkaufte – sie für Stunden in Hochstimmung versetzt hatte. Jetzt war sogar diese simple Freude versiegt.
    Jack trat vor den geschlossenen Fahrstuhltüren von einem Bein aufs andere; er hörte eine unmögliche, vertraute Stimme aus dem wirbelnden Sandtrichter aufsteigen. Einen Augenblick lang sah er Thomas Woodbine, den soliden, beruhigenden Onkel Tommy Woodbine, der sein Vormund hatte sein sollen – ein starkes Bollwerk gegen alle Sorgen und Probleme –, zerschlagen und tot auf dem La Cienega Boulevard, seine Zähne wie Popcorn sechs Meter entfernt in der Gosse. Er drückte wieder auf den Knopf.
    Mach zu !
    Dann sah er noch Schlimmeres – seine Mutter, die von zwei mitleidslosen Männern in einen wartenden Wagen gezerrt wurde. Plötzlich spürte Jack seine Blase. Er legte die ganze Handfläche auf den Knopf, und der gebeugte graue Mann hinter dem Pult gab einen missbilligenden Laut von sich. Jack presste die Kante seiner anderen Hand auf die magische Stelle unterhalb des Magens, die den Druck auf seine Blase verringerte. Jetzt konnte er das leise Schwirren des herunterkommenden Fahrstuhls hören. Er schloss die Augen, presste die Beine aneinander. Seine Mutter sah verunsichert aus, hilflos und verwirrt, und die Männer zerrten sie so mühelos in den Wagen, als wäre sie ein erschöpfter Collie. Doch das geschah nicht wirklich, das wusste er; es war eine Erinnerung – ein Teil davon musste zu einem der Tagträume gehören –, und es war nicht seiner Mutter widerfahren, sondern ihm selbst.
    Als die Mahagonitüren des Fahrstuhls den Blick auf das verschattete Innere freigaben und ihm aus einem fleckigen und rissigen Spiegel das eigene Gesicht entgegenschaute, hüllte ihn diese Szene aus seinem achten Lebensjahr abermals ein, und er sah, wie sich die Augen des Mannes gelb verfärbten, fühlte, wie die Hand des anderen zupackte, hart und unmenschlich … Er sprang in den Fahrstuhl, als

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