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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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und Dann dann.
Und wenn du dich je in dickem Rauch verirrst, Kind, sitz still, bis er sich klärt. Sitz still, bis du siehst, wo du bist und wo du warst und wohin du gehst, Kind.«
    Ich würde dieses Kind schütteln. »Kind, hörst du?« würde ich sagen. »Hör auf das, was dein Daddy sagt. Er weiß ,
wovon er spricht.«
    So ein süßes eigenes Kind werde ich nie zu sehen kriegen, nehme ich an. Ich habe aber vor, eins zu fühlen, eins zu riechen und eins zu hören. Wehe, wenn nicht.
    Man konnte sehen, wo die vier Neunzehnachtzehner-Seelen in diesem Loch herum- und herumgekrochen waren, wie Schnecken im Goldfischglas. Jeder hatte eine Spur hinter sich hergezogen –,
die lebendigen und die toten.
    Eine Granate zündete in dem Loch und explodierte.
    Als der Matsch wieder zu Boden fiel, war nur noch ein Mann in dem Loch am Leben.
    Er drehte sich vom Bauch auf den Rücken und ließ die Arme seitlich sinken. Es war, als hätte er Neunzehnachtzehn seine Weichteile angeboten, damit es ihn leichter umbringen
konnte, wenn es ihn so dringend umbringen wollte.
    Und dann hat er uns gesehen.
    Er war nicht überrascht, wie wir da über ihm in der Luft hingen. Es gab nichts, was ihn noch überraschen konnte. Richtig langsam und
schwerfällig grub er seine Flinte aus dem Matsch und zielte damit auf uns. Er lächelte, als wüßte er, wer wir sind, als wüßte er, daß er uns gar nicht
verwunden konnte, als wäre das alles nur ein Riesenwitz.
    Nie und nimmer hätte eine Kugel es durch diesen Flintenlauf geschafft, er war viel zu sehr mit Matsch verstopft. Die Flinte explodierte.
    Auch das überraschte ihn nicht, schien ihm nicht einmal weh zu tun. Dies Lächeln, mit dem er uns anstrahlte, das Lächeln über den Witz, war immer noch da, als er
zurückfiel und starb.
    Das Neunzehnachtzehn-Sperrfeuer hörte auf.
    Jemand pfiff in großer Entfernung auf einer Pfeife.
    »Weshalb weinen Sie, Soldat?« sagte Poritsky.
    »Ich habe nicht gewußt, daß ich weine, Herr Hauptmann«, sagte ich. Meine Haut fühlte sich superstraff an, und meine Augen waren heiß, aber ich merkte nicht,
daß ich weinte.
    »Sie haben geweint, und Sie weinen jetzt«, sagte er.
    Dann weinte ich wirklich. Ich wußte ganz sicher, daß ich erst sechzehn war, wußte, daß ich der reinste Säugling war. Ich setzte mich hin, und ich schwor, ich
würde nicht wieder aufstehen, nicht einmal, wenn mir der Hauptmann den Kopf wegtrat.
    »Da sind sie!« brüllte Poritsky, richtig außer sich. »Sehen Sie hin, Soldat! Sehen Sie sich das an! Amerikaner!« Er feuerte seine Pistole ab, als hätten
wir den 4. Juli. »Sehen Sie hin!«
    Ich sah hin.
    Sah aus wie eine Million Männer, die den Strahl der Zeitmaschine überquerten. Sie kamen auf der einen Seite aus dem Nichts und schmolzen zu nichts auf der anderen Seite. Ihre Augen
waren tot. Sie stellten einen Fuß vor den anderen, als hätte sie jemand aufgezogen.
    Ganz plötzlich zerrte Hauptmann Poritsky mich hoch, als hätte ich keinerlei Gewicht. »Kommen Sie, Soldat –, wir gehen mit ihnen!« brüllte er.
    Dieser Wahnsinnige zerrte mich direkt durch diese Leuchtfeuermarkierungslinie.
    Ich habe geschrien und ich habe geweint und ich habe ihn gebissen. Aber es war zu spät.
    Es gab keine Leuchtfeuermarkierungen mehr.
    Es gab nur noch auf allen Seiten neunzehnachtzehn.
    Ich war in neunzehnachtzehn. Endgültig.
    Und dann schlug wieder Sperrfeuer ein. Und es war aus Stahl und Höchstleistungssprengstoff, und ich war aus Fleisch, und dann war dann, und Stahl und Fleisch waren völlig
zusammengeklumpt.
    Hier wachte ich auf.
    »Welches Jahr ist jetzt?« fragte ich sie.
    »Neunzehnachtzehn, Soldat«, sagten sie.
    »Wo bin ich?« fragte ich sie.
    Sie sagten mir, ich wäre in einer Kathedrale, die zum Lazarett umgewandelt worden war. Ich würde sie gerne sehen. An den Echos höre ich, wie hoch und großartig sie ist.
    Ich bin kein Held.
    Wo ich hier von lauter Helden umgeben bin, brauche ich meine Akte nicht auszuschmücken. Ich habe nie jemanden mit dem Bajonett abgestochen und nie jemanden erschossen, nie eine Granate
geworfen, nie einen Deutschen gesehen, außer das in dem schrecklichen Loch waren Deutsche.
    Es sollte Spezial-Lazarette für Helden geben, damit Helden nicht neben Leuten wie mir liegen müssen.
    Wenn jemand Neues vorbeikommt, um mich reden zu hören, sage ich ihm immer gleich, daß ich nur zehn Sekunden lang im Krieg war, bevor ich getroffen wurde. »Ich habe nie was
getan, um die Welt reif für die Demokratie

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