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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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Männer müssen fallen, damit die anderen lernen können!« sagte Poritsky. »Teufel auch –, das ist doch gar keine Armee! Hier gibt es so viele
Sicherheitsvorschriften und Ärzte, daß ich in sechs Jahren nicht mal einen eingewachsenen Fingernagel gesehen habe. So werdet ihr nie Profis.«
    »Nein, Sir«, sagte ich.
    »Der Profi hat alles gesehen, und nichts kann ihn überraschen«, sagte Poritsky. »Na, morgen, Soldat, werden Sie echten Dienst an der Waffe zu sehen kriegen, wie er seit
hundert Jahren nicht mehr zu sehen war. Gas! Sperrfeuerwalzen! Feuergefechte! Duelle mit dem Bajonett! Nahkampf! Sind Sie nicht glücklich, Soldat?«
    »Bin ich nicht was , Sir?« fragte ich.
    »Sind Sie nicht glücklich ?« sagte Poritsky.
    Ich sah Earl an, dann wieder den Hauptmann. »O doch, Sir«, sagte ich. Ich schüttelte richtig langsam und schwer den Kopf. »Doch, Sir«, sagte ich.
»Überglücklich.«
    Wenn man bei den Weltstreitkräften ist, mit den ganzen schicken neuen Waffen, gibt es nur eins. Man muß glauben, was einem die Offiziere erzählen, auch wenn es
keinen Sinn ergibt. Und die Offiziere müssen glauben, was ihnen die Wissenschaftler erzählen.
    Der einfache Mann kapierte es längst nicht mehr, und vielleicht war das schon immer so gewesen. Wenn ein Feldgeistlicher uns gemeine Soldaten anbrüllte, wir sollten fest im Glauben
sein, einem Glauben, der keine Fragen stellt, dann trug er Eulen nach Athen oder wohin.
    Als Poritsky uns schließlich sagte, wir würden mit Hilfe einer Zeitmaschine angreifen, fiel einem gewöhnlichen Soldaten wie mir gar nichts mehr
ein. Ich saß einfach da wie ein Stück Holz und sah die Bajonetthalterung an meiner Flinte an. Ich beugte mich vor, so daß ich vorne mit dem Helm gegen die Mündung
gestützt war, und sah diese Bajonetthalterung an, als wäre sie ein Weltwunder.
    Die gesamten zweihundert Mann unserer Zeitschild-Kompanie waren in einem großen Unterstand und hörten Poritsky zu. Niemand sah ihn an. Er freute sich einfach zu sehr auf das, was passieren sollte, und betastete sich ständig, als hoffte er, daß er das alles nicht nur träumt.
    »Männer«, sagte dieser wahnsinnige Hauptmann, »um nullfünfhundert Uhr wird die Artillerie zwei Reihen Leuchtfeuermarkierungen absetzen, Zwischenraum zweihundert
Meter. Diese Markierungen werden die Ränder des Strahls der Zeitmaschine anzeigen. Wir werden zwischen den Markierungen angreifen.«
    »Männer«, sagte Poritsky, »zwischen den markierten Reihen wird es heute sein und der 18. Juli 1918, beides gleichzeitig.«
    Ich küßte meine Bajonetthalterung. Ich mag den Geschmack von Öl und Eisen in kleinen Mengen, würde mir das Zeug aber nicht in Flaschen kaufen.
    »Männer«, sagte Poritsky, »Sie werden dort draußen ein paar Dinge zu sehen kriegen, bei deren Anblick die Haare eines Zivilisten schlohweiß würden. Sie
werden den amerikanischen Gegenangriff auf die Deutschen sehen, der zu alten Zeiten in Château-Thierry stattgefunden hat.« Er freute sich wie ein Schneekönig.
»Männer«, sagte er, »es wird wie im Schlachthof sein. Im Schlachthof in der Hölle.«
    Ich bewegte den Kopf auf und ab, so daß mein Helm wie eine Pumpe machte. Ich pumpte mir Luft über die Stirn. In einem solchen Augenblick können gerade die kleinen Dinge
superschön sein.
    »Männer«, sagte Poritsky, »ich sage Soldaten nicht gern, sie sollen keine Angst haben. Ich sage ihnen nicht gern, daß es nichts gibt, wovor sie Angst haben könnten . Es ist eine Beleidigung für jeden Soldaten. Aber die Wissenschaftler sagen mir, 1918 kann uns nichts anhaben und wir können
1918 nichts anhaben. Für die werden wir Gespenster sein, und sie werden Gespenster für uns sein. Wir werden durch sie hindurchmarschieren, und sie werden durch uns
hindurchmarschieren, als wären wir alle aus Rauch.«
    Ich blies über die Mündung meiner Flinte. Es kam keine Melodie raus. Ein Glück, denn das wäre das Ende des Appells gewesen.
    »Männer«, sagte Poritsky, »es wäre mir lieber, wenn ihr damals im Jahre neunzehnachtzehn tat säch lich was riskieren
müßtet, tat säch lich mit dem Schlimmsten beworfen würdet, was es gibt. Die, die das überlebt hätten, wären Soldaten im besten
Sinne des Wortes.« Keiner hatte einen Einwand.
    »Männer«, sagte der große Militärwissenschaftler, »ich glaube, Sie können sich die Wirkung auf unseren Feind vorstellen, wenn er auf dem Schlachtfeld die
ganzen Gespenster von neunzehnachtzehn herumkriechen sieht. Er wird

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