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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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nicht wissen, auf was er schießen soll.« Poritsky brach in Gelächter aus und
brauchte etwas, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. »Männer«, sagte er, »wir werden durch diese Gespenster hindurchkriechen. Wenn wir zum Feind vorstoßen, sorgt
dafür, daß er sich bei Gott wünscht, wir wären tatsächlich Gespenster –, sorgt dafür, daß es ihm leid tut, je geboren worden zu sein.«
    Dieser Feind, von dem er sprach, war nichts als eine Reihe Bambusstangen mit Lumpen dran, etwa eine halbe Meile entfernt. Man sollte nicht glauben, daß ein Mann Bambus mit Lumpen so hassen
konnte wie Poritsky.
    »Männer«, sagte Poritsky, »wenn einer von Ihnen mit dem Gedanken an unerlaubte Entfernung von der Truppe spielt, hier ist Ihre einmalige Gelegenheit. Sie müssen nur
eine der beiden Leuchtfeuermarkierungslinien überschreiten, einfach den Zeitmaschinenstrahl verlassen. Sie werden real im Jahre 1918 verschwinden –, ganz und gar
ungespenstisch. Und der Feldjäger ist noch nicht geboren, der so wahnsinnig ist, daß er Sie dahin verfolgt, weil nämlich niemand, der diese Linie überschreitet, mehr
zurück kann.«
    Ich stocherte mir mit dem Korn von Kimme und Korn meiner Flinte zwischen den Schneidezähnen herum. Ich kam von ganz alleine darauf, daß ein Profisoldat am glücklichsten ist, wenn
er jemanden beißen kann. Ich wußte, daß ich es nie so weit bringen würde.
    »Männer«, sagte Poritsky, »der Auftrag dieser Zeitschild-Kompanie ist nicht anders als der Auftrag jeder Kompanie seit Anbeginn der Zeit. Der Auftrag dieser
Zeitschild-Kompanie lautet: Töten! Noch Fragen?«
    Wir hatten uns alle die Berufspflichten der Soldaten vorlesen lassen. Wir wußten alle, daß vernünftige Fragen stellen schlimmer ist, als wenn man die eigene Mutter mit der Axt
umbringt. Es gab also keine Fragen. Glaube nicht, daß es je welche gegeben hat.
    »Durchladen«, sagte Poritsky.
    Wir luden durch.
    »Bajonett aufpflanzen«, sagte Poritsky.
    Wir pflanzten die Bajonette auf.
    »Gehen wir, Mädels?«
    Oh, der Mann kannte seine Psychologie rückwärts und vorwärts. Das ist, glaube ich, der große Unterschied zwischen Offizieren und einfachen Soldaten. Daß er uns
Mädels genannt hat statt Jungs, wo wir doch in Wirklichkeit Jungs waren, machte uns so wütend, daß wir kaum geradeaus kucken konnten.
    Wir wollten nur noch hinaus und Bambus mit Lumpen vernichten, bis es jahrhundertelang weder Angelruten noch Flickenteppiche mehr gab.
    Im Strahl dieser Zeitmaschine war es, als hätte man Grippe, als hätte man eine bifokale Brille von jemandem auf, der nicht gut sah, und als wäre man im Innern
einer Gitarre. Solang sie die nicht verbessern, wird sie weder betriebssicher noch beliebt.
    Zuerst sahen wir niemanden von neunzehnachtzehn. Wir haben nur ihre Löcher und ihren Stacheldraht gesehen, wo keine Löcher und kein Stacheldraht mehr waren. Wir konnten über diese
Löcher gehen, als wäre ein Glasdach drauf. Wir konnten durch diesen Stacheldraht gehen, ohne uns die Hosen zu zerreißen. Die Löcher und der Stacheldraht gehörten nicht zu
uns –, sie gehörten zu neunzehnachtzehn.
    Tausende von Soldaten beobachteten uns, Leute aus jedem Land, das es gibt.
    Die Show, die wir ihnen boten, war jämmerlich.
    Dieser Zeitmaschinenstrahl machte uns kotzübel und halb blind. Wir sollten ordentlich auf die Pauke hauen und grölen, um zu zeigen, was für Profis wir sind. Aber wir kamen da
hinaus, zwischen die Leuchtfeuermarkierungen, und machten kaum pieps, weil wir Angst hatten, daß dann alle brechen müssen. Wir sollten aggressiv vorrücken, wir konnten nur nicht
unterscheiden, was zu uns gehörte und was zu neunzehnachtzehn. Wir gingen um Sachen herum, die es nicht gab, und fielen über Sachen, die es gab.
    Wenn ich ein Beobachter gewesen wäre, hätte ich gesagt, wir wären komisch.
    Ich war der erste Mann im ersten Kommando des ersten Zugs dieser Zeitschild-Kompanie, und nur ein Mann war vor mir. Das war unser edler Hauptmann.
    Er hatte seiner furchtlosen Truppe etwas hingebrüllt, und das hat er, glaube ich, gebrüllt, um uns noch blutrünstiger zu machen, als wir bereits waren. »Bis dann, ihr
Pfadfinder!« hatte er gebrüllt. »Schreibt regelmäßig der Mutti nach Hause, und putzt euch die Nase, wenn sie läuft!«
    Dann beugte er sich vor und rannte, so schnell er konnte, durch das Niemandsland.
    Ich tat mein Bestes, um ihm auf den Fersen zu bleiben, zum Ruhm der gemeinen Soldaten. Wir fielen beide hin und standen

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