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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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hören, daß er seinen Knappen hereingeschickt hat, um dich zum neuen Steuereintreiber zu ernennen.«
    Elmer schüttelte den Kopf, wobei seine Lippen schlaff wabbelten. Er hatte gelebt, um für seine Weisheit und Harmlosigkeit geliebt zu werden. Nun hatte man ihm befohlen, die Habgier
Roberts-des-Schrecklichen zu repräsentieren – oder eines entsetzlichen Todes zu sterben.
    »Ich würde mir gern ein Kleid aus dem machen lassen, was sein Pferd anhatte«, sagte Ivy. »Blau, und durchgehend mit diesen kleinen Goldkreuzen durchschossen.« Sie
war zum erstenmal in ihrem Leben glücklich. »Ich würde es irgendwie lässig aussehen lassen«, sagte sie, »alles irgendwie hinten hochgerüscht und mit
Schleppe –, nur, daß es gar nicht lässig wäre. Und vielleicht, wenn ich ein paar anständige Klamotten habe, könnte ich auch ein bißchen Französisch
aufschnappen und mit den normannischen Damen Parlewu machen, richtig elegant und alles.«
    Elmer seufzte und umfaßte die Hände seines Sohnes mit seinen Händen. Ethelberts Hände waren rauh. Die Handflächen waren zerkratzt, und Erde hatte sich in die Poren und
unter die Fingernägel gearbeitet. Elmer folgte einem Kratzer mit der Fingerspitze. »Wie hast du dir den zugezogen?« sagte er.
    »Ich habe an der Falle gearbeitet«, sagte Ethelbert. Er wurde lebendig, strahlte vor eigener Intelligenz. »Ich habe Dornbäume über das Loch gelegt«, sagte er
eifrig, »damit, wenn das Einhorn reinfällt, die Dornbäume auf es drauffallen.«
    »Dann sitzt es fest«, sagte Elmer zärtlich. »Nicht allzu viele Familien in England können sich auf Einhorn zum Abendessen freuen.«
    »Wenn du doch mal mit in den Wald kommen und dir die Falle ansehen könntest«, sagte Ethelbert. »Ich will doch wissen, ob ich alles richtig gemacht habe.«
    »Ich bin sicher, daß es eine schöne Falle ist, und ich will sie sehen«, sagte Elmer. Der Traum, ein Einhorn zu fangen, zog sich durch das
grobe, graue Gewebe des Lebens von Vater und Sohn wie ein goldener Faden.
    Beide wußten, daß es keine Einhörner in England gab. Aber sie hatten sich auf den Wahnsinn geeinigt –, darauf, so zu leben, als gäbe es überall welche; als
stünde Ethelbert kurz davor, eins zu fangen; als würde sich die magere Familie bald mit Fleisch vollstopfen, das wertvolle Horn für ein Vermögen verkaufen, und, wenn sie nicht
gestorben wäre, bis in die ferne Zukunft glücklich und zufrieden leben.
    »Das sagst du jetzt schon seit einem Jahr, daß du mal mitkommst und kuckst«, sagte Ethelbert.
    »Ich hatte zu tun«, sagte Elmer. Er wollte die Falle nicht inspizieren, nicht sehen, was sie wirklich war –, eine Handvoll Zweige über einem Kratzer im Boden, durch
die Phantasie des Jungen zu einer ungeheuren Phantasiemaschine vergrößert. Auch Elmer wollte weiter daran wie an etwas Schönes und Vielversprechendes denken. Nirgends sonst war
Hoffnung.
    Elmer küßte die Hände seines Sohnes und schnüffelte an den vermischten Gerüchen von Fleisch und Erde. »Bald komme ich und sehe sie mir an«, sagte er.
    »Und von den Pferdevorhängen hätte ich dann ganz leicht genug übrig, um für dich und den kleinen Ethelbert Unterhosen zu machen«, sagte Ivy immer noch verzaubert.
»Wäre das nichts, ihr beiden mit blauen Unterhosen, durchgehend mit diesen kleinen Goldkreuzen durchschossen?«
    »Ivy«, sagte Elmer geduldig, »nun kapiere doch bitte endlich, daß Robert tatsächlich schrecklich ist . Er wird dir nicht die
Schabracke seines Pferdes schenken. Er hat noch nie jemandem was geschenkt.«
    »Ich kann doch wohl träumen, wenn ich möchte«, sagte Ivy. »Das ist doch wohl das Vorrecht einer Frau.«
    »Wovon träumen?« sagte Elmer.
    »Wenn du deine Arbeit gut machst, schenkt er mir aber doch vielleicht die Vorhänge von seinem Pferd, wenn sie abgenutzt sind«, sagte Ivy.
»Und vielleicht, wenn du so viele Steuern eintreibst, daß es kaum zu glauben ist, werden wir vielleicht mal auf das Schloß eingeladen.« Sie schritt kokett durch die
Hütte und achtete darauf, daß der Saum einer imaginären Schleppe nicht den Fußboden aus festgetretenem Schmutz streifte. »Bong schur, Mosjeh,
Madam«, sagte sie. »Ich hoffe doch, Euer Gnaden und Gnadin befinden sich wohl?«
    »Ist das der beste Traum, den du hast?« sagte Elmer geschockt.
    »Und dir würden sie einen vornehmen Namen verpassen wie Elmer-der-Blutige oder Elmer-der-Wahnsinnige«, sagte Ivy, »und du und ich und Ethelbert würden am Sonntag in
die Kirche

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