Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
leichter, wenn ich wüßte, was du damit bezweckst«, sagte Ivy.
    Zwei Normannen kamen aus dem Wald, unglücklich und ratlos. Sie sahen einander an, breiteten die Arme aus und zuckten die Achseln.
    Einer stieß mit seinem breiten Schwert einen Strauch beiseite und sah mitleiderregend darunter nach. »Allô, allô?« sagte er. »Robert?«
    »Il est disparu!« sagte der andere.
    »Il s’est évanoui!«
    »Le cheval, l’armement, les plumes –, tout d’un coup!«
    »Pouf!«
    »Hélas!«
    Sie sahen Elmer und seine Familie. »Hien!« rief einer Elmer zu. »Avez-vous vu Robert?«
    »Robert-den-Schrecklichen?« sagte Elmer.
    »Oui.«
    »Tut mir leid«, sagte Elmer. »Weder Haut noch Haar.«
    »Eh?«
    »Je n’ai vu ni peau ni cheveux de lui«, sagte Elmer.
    Wieder sahen die Normannen einander an, trostlos jetzt.
    »Hélas!«
    »Zut!«
    Sie gingen langsam in den Wald zurück.
    »Allô, allô, allô?«
    »Hien! Robert? Allô?«
    »Vater! Hör zu!« sagte Ethelbert wild.
    »Pschscht«, sagte Elmer sanft. »Ich spreche jetzt mit deiner Mutter.«
    »Genau wie diese dumme Einhornfalle«, sagte Ivy. »Das habe ich auch nicht verstanden. Bei der Falle war ich echt geduldig. Ich habe nie ein Wort gesagt. Aber jetzt werde ich
meine Meinung sagen.«
    »Sag sie«, sagte Elmer.
    »Diese Falle hat nichts mit irgendwas zu tun«, sagte Ivy.
    Tränen bildeten sich an den Rändern von Elmers Augen. Das Bild von den Zweigen, dem Kratzer in der Erde und die Phantasie des Jungen sagten alles, was über das Leben zu sagen
war –, das Leben, das nun enden sollte.
    »Hier gibt es gar keine Einhörner«, sagte Ivy, stolz auf ihr Wissen.
    »Ich weiß«, sagte Elmer. »Ethelbert und ich wissen das.«
    »Und wenn du dich hängen läßt, macht das auch nichts besser«, sagte Ivy.
    »Ich weiß. Ethelbert und ich wissen auch das«, sagte Elmer.
    »Vielleicht bin ich die Dumme«, sagte Ivy.
    Plötzlich spürte Elmer den Schrecken und die Einsamkeit und die bevorstehenden Schmerzen, die der Preis für das Vollkommene waren, was er gerade machte –, der Preis
für einen Schluck aus einer kalten, reinen Quelle. Sie waren viel schlimmer, als Schande je sein konnte.
    Elmer schluckte. Sein Hals tat weh, wo die Schlinge beißen würde. »Ivy, Liebste«, sagte er, »ich hoffe sehr , daß du das
bist.«
    An jenem Abend betete Elmer um einen neuen Mann für Ivy, um ein starkes Herz für Ethelbert und um einen gnädigen Tod und das Paradies für sich selbst am folgenden Tag.
    »Amen«, sagte Elmer.
    »Vielleicht könntest du nur so tun , als wenn du Steuereintreiber wärst«, sagte Ivy.
    »Und wo würde ich die Steuern her kriegen, die nur so tun , als wären sie Steuern?« sagte Elmer.
    »Vielleicht könntest du nur kurze Zeit lang Steuereintreiber sein«, sagte Ivy.
    »Nur lange genug, um aus gutem Grund gehaßt zu werden«, sagte Elmer. »Dann könnte ich hängen.«
    »Irgendwas ist immer«, sagte Ivy. Ihre Nase wurde rot.
    »Ivy ...«, sagte Elmer.
    »Hmmm?«
    »Ivy –, ich verstehe das mit dem blauen Kleid, durchgehend mit kleinen Goldkreuzen durchschossen«, sagte Elmer. »Das wünsche ich mir auch. Für
dich.«
    »Und die Unterhosen für dich und Ethelbert«, sagte Ivy. »Der Stoff sollte ja nicht nur für mich sein.«
    »Ivy«, sagte Elmer, »was ich mache –, das ist wichtiger als diese Schabracken.«
    »Das ist meine Schwierigkeit«, sagte Ivy. »Ich kann mir einfach nichts vorstellen, was mehr Klasse hat.«
    »Ich mir auch nicht«, sagte Elmer. »Aber es gibt solche Sachen. Muß es geben.« Er lächelte traurig. »Was sie auch sein
mögen«, sagte er, »für sie werde ich tanzen, wenn ich morgen auf Luft tanze.«
    »Ich wünschte, Ethelbert würde zurückkommen«, sagte Ivy. »Wir sollten alle zusammen sein.«
    »Er mußte seine Falle überprüfen«, sagte Elmer. »Das Leben geht weiter.«
    »Ich bin froh, daß die ollen Normannen endlich wieder zu Hause sind«, sagte Ivy. »Das war ja nicht auszuhalten mit dem ständigen allô und hien und hélas und zut und pouf , bis ich dachte, ich verliere fast den Verstand. Ich glaube, sie haben Robert-den-Schrecklichen gefunden.«
    »Und damit mein Schicksal besiegelt«, sagte Elmer. Er seufzte. »Ich werde Ethelbert suchen gehen«, sagte er. »Wie könnte ein Mann seine letzte Nacht auf Erden
besser verbringen, als indem er seinen Sohn aus dem Wald nach Hause bringt?«
    Elmer ging in eine blaßblaue Nachtwelt unter einem Halbmond hinaus. Er folgte dem Pfad, den Ethelberts Füße getreten

Weitere Kostenlose Bücher