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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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sollte, so einen gräßlichen Haufen in seinem Gefangenenlager zu haben. Wir beide, der Herr
Kommandant und ich, werden etwas dagegen unternehmen.« Er stellte einen Hocker mitten auf den Fußboden und dirigierte mich dorthin. »Du bist als erster dran, Kleiner«, sagte
er. »Dem Kommandanten sind deine langen Locken aufgefallen, und er hat mir gesagt, ich soll dafür sorgen, daß sie runterkommen.«
    Ich setzte mich auf den Hocker, und er band mir mit Schwung ein Handtuch um den Hals. Es gab keinen Spiegel, in dem ich ihn beim Schneiden beobachten konnte, aber sein Vorgehen schien mir
ausreichend professionell. Ich machte eine Bemerkung über sein unvermutetes Können als Friseur.
    »Ach, das ist nichts«, sagte er. »Manchmal überrasche ich mich selbst.« Zum Schluß ging er noch mit der Haarschneidemaschine drüber. »Das macht dann
zwei Zigaretten, oder den Gegenwert«, sagte er. Ich zahlte ihn in Saccharintabletten aus. Außer Louis hatte niemand Zigaretten.
    »Möchtest dich mal betrachten?« Er überreichte mir eine Spiegelscherbe. »Nicht schlecht, was? Und das Beste daran ist, daß dies wahrscheinlich der lausigste Job
ist, den ich je machen werde, denn mit der Zeit werde ich zwangsläufig immer besser.«
    »Heiliger Strohsack!« kreischte ich. Meine Kopfhaut sah aus wie der Rücken eines räudigen Airedaleterriers –, Flecken nackten Skalps wechselten sich mit wilden
Haarbüscheln ab, und aus einem Dutzend winziger Schnittwunden quoll das Blut.
    »Willst du damit sagen, daß du für diesen Pfusch den ganzen Tag im Camp bleiben darfst?« grölte ich.
    »Na komm, Kleiner, reg dich ab«, sagte Louis. »Ich finde, du siehst ganz prima aus.«
    Eigentlich war die Situation gar nicht so neu. Für ihn war es der normale Betrieb. Wir arbeiteten uns weiter den ganzen Tag dumm und krumm, und wenn wir abends völlig fertig
zurückkamen, wurden wir von Louis Gigliano über den Löffel balbiert.

IN DEN U . S . A .
    SPIELEN DIE SIEGER
    GEGEN
    DIE VERLIERER ,
    UND DIE KARTEN
    SIND GEZINKT .

DIE EINHORNFALLE
    I m Jahre Anno des Herrn Domini 1067 baumelten
achtzehn tote Männer im Weiler Stow-am-Wald, England, an den achtzehn Dorfgalgen mal hier-, mal dorthin. Gehängt von Robert-dem-Schrecklichen, einem Freund Wilhelms-des-Eroberers, gingen
sie fischäugig alle Kompaßpunkte der Reihe nach durch. Norden, Osten, Süden, Westen und wieder Norden, nirgends war Hoffnung für die Sanftmütigen, die Armen und die
Nachdenklichen.
    Gegenüber von den Galgen lebte Elmer-der-Holzschnitzer mit seinem Weibe Ivy und Ethelbert, seinem zehn Jahre alten Sohn.
    Hinter Elmers Hütte war der Wald.
    Elmer schloß die Tür seiner Hütte, machte die Augen zu, leckte sich die Lippen und schmeckte Reue. Er setzte sich zu Ethelbert an den Tisch. Ihre Hafergrütze war
während des unerwarteten Besuchs des Knappen von Robert-dem-Schrecklichen kalt geworden.
    Ivy drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand, als wäre Gott gerade vorübergekommen. Ihre Augen glänzten, ihr Atem ging flach.
    Ethelbert starrte seine kalte Hafergrütze trost- und ausdruckslos an, sein junger Geist hatte die Pfütze der Familientragödie gierig aufgesaugt.
    »Hat Robert-der-Schreckliche etwa nicht klasse ausgesehen, wie er da draußen auf seinem Pferd gesessen hat?« sagte Ivy. »Soviel Eisen und Farbe und Federn, und so
todschicke Vorhänge auf seinem Pferd.« Sie wedelte mit ihren Lumpen und warf den Kopf in den Nacken wie eine Kaiserin, als das Hufgetrappel der normannischen Pferde sich entfernte.
    »›Klasse‹ ist das richtige Wort«, sagte Elmer. Er war ein kleiner Mann mit hochgewölbtem Kopf. Seine blauen Augen waren unstet von unglücklicher Intelligenz.
Sein kleiner Körperbau war mit dürren Seilen aus Muskelwerk verschnürt, den Fesseln eines denkenden Mannes, den man zu körperlicher Arbeit zwingt. »Klasse ist er, Klasse
hat er«, sagte er.
    »Du kannst über die Normannen sagen, was du willst«, sagte Ivy, »sie haben Klasse nach England gebracht.«
    »Wir zahlen dafür«, sagte Elmer. »Es gibt keinen kostenlosen Mittagstisch.« Er vergrub seine Finger im flachsfarbenen Reet von Ethelberts Haar, bog den Kopf des
Jungen zurück und suchte dessen Augen nach einem Zeichen ab, daß das Leben lebenswert sei. Er sah nur ein Spiegelbild seiner eigenen geplagten Seele.
    »Alle Nachbarn müssen das Gedränge gesehen haben, das Robert-der-Schreckliche vor unserer Haustür verursacht hat, so was von erhaben«, sagte Ivy stolz. »Warte,
bis sie

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