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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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hatten –, folgte ihm bis zur
hohen, schwarzen Mauer des Waldes.
    »Ethelbert!« rief er.
    Es war keine Antwort zu hören.
    Elmer drängte in den Wald. Äste peitschten sein Gesicht, und Dornenranken grabschten nach seinen Beinen.
    »Ethelbert!«
    Nur die Galgen antworteten. Die Ketten kreischten, und ein Gerippe fiel klappernd auf die Erde. Nun waren nur noch siebzehn Ausstellungsstücke an den achtzehn Querstreben. Es war wieder
Platz.
    Elmers Angst um Ethelbert wuchs. Sie trieb ihn an, immer tiefer in den Wald. Er kam auf eine Lichtung, blieb stehen, keuchte, und Schweiß stach ihm in die Augen.
    »Ethelbert!«
    »Vater?« sagte Ethelbert vor ihm im Dickicht. »Komm her und hilf mir.«
    Elmer ging blind ins Dickicht, die Hände tastend ausgestreckt.
    Ethelbert fing die Hand seines Vaters in der vollkommenen Dunkelheit ein. »Vorsichtig!« sagte Ethelbert. »Noch einen Schritt, und du bist in der Falle.«
    »Oh«, sagte Elmer. »Na, das war ja knapp.« Spielerisch, damit der Junge sich wohl fühlte, füllte er seine Stimme mit Furcht.
»Oha! Meine Güte!«
    Ethelbert zog seine Hand herunter und drückte sie gegen etwas, was auf dem Boden lag.
    Elmer war verblüfft, die Form eines großen, toten Hirschs zu fühlen. Er kniete sich neben ihn. »Ein Hirsch!« sagte er.
    Seine Stimme kam zu ihm zurück, wie es schien, aus den Eingeweiden der Erde. »Hirsch, Hirsch, Hirsch.«
    »Ich habe eine Stunde gebraucht, um ihn aus der Falle rauszukriegen«, sagte Ethelbert.
    »Kriegen, kriegen, kriegen«, sagte das Echo.
    »Wirklich?« sagte Elmer. »Allmächtiger! Ich hatte ja keine Ahnung, daß die Falle so gut ist!«
    »Gut ist, gut ist, gut ist«, sagte das Echo.
    »Und du weißt noch nicht mal die Hälfte«, sagte Ethelbert.
    »Hälfte, Hälfte, Hälfte«, sagte das Echo.
    »Woher kommt denn dieses Echo?« sagte Elmer.
    »Echo, Echo, Echo«, sagte das Echo.
    »Es ist direkt vor dir«, sagte Ethelbert. »Es kommt aus der Falle.«
    Elmer warf sich zurück, als Ethelberts Stimme aus dem Loch vor ihm kam, aus der Erde kam wie von den Toren der Hölle selbst.
    »Falle, Falle, Falle.«
    »Hast du sie ge graben ?« sagte Elmer entgeistert.
    »Gott hat sie gegraben«, sagte Ethelbert. »Sie ist der Kamin einer Höhle.«
    Elmer streckte sich schlaff auf dem Boden aus. Er legte den Kopf auf die abkühlende, starr werdende Keule des Hirschs. Es gab nur eine Lücke im grünen Dach des Dickichts. Durch
diese Lücke kam das Licht eines hellen Sterns. Elmer sah den Stern als einen Regenbogen durch die Prismen dankbarer Tränen.
    »Ich habe nichts weiter vom Leben zu erbitten«, sagte Elmer. »Heute nacht wurde mir alles gegeben – und mehr, und noch mehr, und noch viel mehr. Mit Gottes Hilfe hat
mein Sohn ein Einhorn gefangen.« Er berührte Ethelberts Fuß und streichelte seinen Spann. »Wenn Gott sogar die Gebete eines Holzschnitzers und seines Sohnes
erhört«, sagte er, »was kann die Welt dann nicht alles werden?«
    Fast glitt Elmer in den Schlaf, so sehr war er eins mit dem Plan der Dinge.
    Ethelbert weckte ihn. »Sollen wir den Hirsch zu Mammi bringen?« sagte Ethelbert. »Als Mitternachtsfestmahl?«
    »Nicht das ganze Tier«, sagte Elmer. »Zu riskant. Wir schneiden uns ein paar Filetstücke heraus und lassen alles übrige hier versteckt zurück.«
    »Hast du ein Messer?« sagte Ethelbert.
    »Nein«, sagte Elmer. »Das verstößt bekanntlich gegen das Gesetz.«
    »Ich hole etwas zum Schneiden«, sagte Ethelbert.
    Elmer, immer noch im Liegen, hörte, wie sein Sohn den Kamin der Höhle hinabstieg; hörte, wie er immer tiefer in der Erde Halt suchte und fand; hörte, wie er auf dem Grund der
Höhle grunzte und mit Baumstämmen rang.
    Als Ethelbert zurückkehrte, trug er etwas Langes, welches das Glänzen des einen hellen Sterns einfing. »Damit müßte es gehen«, sagte er.
    Er gab Elmer den scharfen Bihänder Roberts-des-Schrecklichen.
    Es war Mitternacht.
    Die kleine Familie hatte sich mit Wildbret überfressen.
    Elmer stocherte sich mit dem Dolch Roberts-des-Schrecklichen in den Zähnen herum. Ethelbert, auf Wache an der Tür, wischte sich die Lippen mit den Federn eines Helmbuschs ab.
    Ivy zupfte zufrieden an der Schabracke, mit der sie sich geschmückt hatte. »Wenn ich gewußt hätte, daß ihr was fangt«, sagte sie, »hätte ich die
Falle nicht für so eine dumme Idee gehalten.«
    »So ist das mit Fallen«, sagte Elmer. Er lehnte sich zurück und versuchte, Hochstimmung zu empfinden, weil er am nächsten Tag nicht

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