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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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voll entwickelten freien Unternehmertum schlechthin, welches wochenlang herrschte, kehrten wie spanische Galeonen mit Schätzen beladen
heim, während Paul mit seinem törichten Überbleibsel zufrieden war. Obwohl er Wochen zum Aussuchen und Rauben hatte, blieben seine ersten Stunden als verwegener Eroberer auch seine
letzten. Das, was seinen Übermut und seinen Haß zerbrach, begann an einem ruhmreichen Frühlingsmorgen in den Bergen, am 8. Mai 1945.
    Paul und die anderen Kriegsgefangenen in Hellendorf im Sudetenland brauchten einige Zeit, um sich an die Abwesenheit ihrer Bewacher zu gewöhnen, die sich in der Nacht zuvor umsichtig in die
Wälder und auf die Hügel abgesetzt hatten. Er und zwei weitere Amerikaner wanderten unsicher die von Menschen wimmelnde Landstraße in Richtung Peterswald entlang, einem von vielen
stillen Bauerndörfern entgegen, von fünfhundert durch den Krieg verwirrten Seelen bewohnt. Menschheit bewegte sich in jammernden Strömen, die sich in beide Richtungen mit einer
einstimmigen Klage wälzten: »Die Russen kommen!« Nach vier öden Kilometern in diesem Milieu ließen sich die drei an einem Bächlein nieder, welches Peterswald
teilte, fragten sich, wie sie die amerikanischen Linien erreichen mochten, und fragten sich, ob die Russen jeden umbrachten, der ihnen begegnete, wie manche sagten. Nahebei, in einem von einer
Scheune geschützten Stall, saß ein weißes Kaninchen und lauschte dem ungewohnten Lärm dort draußen.
    Das Trio empfand sich nicht als Teil des Schreckens, der durch das Dorf wogte, empfand kein Mitleid. »Die eingebildeten Dummköpfe haben es weißgott nicht anders gewollt«,
sagte Paul, und die anderen nickten amüsiert. »Nach allem, was ihnen die Deutschen angetan haben, kann man den Russen keinen Vorwurf machen, egal, was sie tun«, sagte Paul, und
wieder nickten seine Gefährten. Sie saßen schweigend da und sahen zu, wie rasende Mütter sich mit ihren Jungen in Kellern versteckten, während andere die Hügel hinauf und
in die Wälder hasteten oder ihre Häuser verließen, um mit ein paar kostbaren Paketen auf der Landstraße zu fliehen.
    Ein britischer Obergefreiter mit großen Augen machte lange Schritte und rief ihnen von der Straße zu: »Setzt euch mal in Bewegung, ihr Burschen, sie sind schon in
Hellendorf!«
    Eine Staubwolke im Westen, das Gebrumm von Lastwagen, das Gewimmel verängstigter Flüchtlinge, und die Russen drangen ins Dorf ein, wobei sie den erstaunten Bürgern Zigaretten
zuwarfen und allen, die sich zu zeigen wagten, nasse, begeisterte Küsse gaben. Paul tollte zwischen ihren Lastwagen herum, lachte und rief und fing die Brotlaibe und Fleischbrocken auf, die
ihm von denjenigen Befreiern zugeworfen wurden, die sein »American! American!« durch die wilde Akkordeonmusik hindurch hören konnten, die von den rotbesternten Lastwagen erklang.
Glücklich und aufgeregt kehrten er und seine Freunde, die Arme voll Nahrungsmittel, zum Bächlein zurück und begannen sich unverzüglich vollzustopfen.
    Aber während sie aßen, kamen die anderen – Tschechen, Polen, Jugoslawen, Russen, eine furchterregende Horde erniedrigter deutscher Sklaven im Gefolge der russischen
Armee –, um aus schierer Lust zu zertrümmern und zu plündern und Feuer zu legen. Systematisch gingen sie in zielstrebigen Grüppchen von dreien bis fünfen von Haus zu
Haus, traten Türen ein, bedrohten die Bewohner und nahmen mit, was ihnen gefiel. Es war nicht wahrscheinlich, daß sie Plündergut übersehen hatten, denn Peterswald war in eine
enge Senke gebaut, zu beiden Seiten der Straße nur jeweils ein Haus tief. Paul dachte, daß Tausende jedes Haus vom Keller zum Speicher erkundet haben mußten, bevor der
mondbeschienene Abend kam.
    Er und seine Freunde beobachteten die ernsten Plünderer bei der Arbeit und lächelten ihnen matt zu, wenn eine Gruppe vorüberzog. Ein schottisches Paar in Hochstimmung hatte sich
mit einem solchen Trupp angefreundet und hielt im frohen Beutezug inne, um mit den Amerikanern zu sprechen. Jeder hatte ein hübsches Fahrrad, zahlreiche Ringe und Uhren, Feldstecher, Kameras
und andere bewundernswerte Schmuckstücke.
    »Schließlich«, erklärte einer der beiden, »möchte man an einem Tag wie diesem doch nicht untätig herumsitzen. So eine Gelegenheit kriegt man nie wieder.
Ihr seid doch die Sieger, ihr habt doch verdammtnochmal das Recht, alles zu tun, was ihr verdammtnochmal wollt.«
    Die drei Amerikaner sprachen dies untereinander

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