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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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und nationale Herkunft der Eltern nicht in ihre Überlegungen hineinspielen würden. Und es stimmt, daß
ich gebürtiger Afro-Amerikaner bin, und meine Frau, obschon als Weiße eingestuft, wurde in Kuba geboren. Aber es hat auf jeden Fall nicht geschadet, daß ich Dekan der
Soziologischen Fakultät der Columbia University oder meine Frau Physiotherapeutin am New York Hospital war. Ich bin sicher, daß unser Baby mehrere andere Kandidaten, darunter einen
neugeborenen Jungen, der in einem Mülleimer in Brooklyn gefunden wurde, abgehängt hat, weil wir Mittelschichtler waren.
    Wir bekamen einen Ford Kombi und drei lebenslängliche Eintrittskarten für Disney World und eine Audio-Video-Konsole mit 1,80-m-Bildschirm und ein VCR und ein Beschallungssystem, das
jede Art von Platte oder Band abspielen konnte, und die Ausrüstung für eine Heimturnhalle und so weiter. Und das Baby bekam festverzinsliche Regierungsanlagen in Höhe von
fünfzigtausend Dollar, zahlbar bei Erreichen der Volljährigkeit, und einen Kinderwagen und einen Sportkinderwagen und einen kostenlosen Windeldienst und so fort. Aber als sie starb, war
sie erst sechs Wochen alt. Der Arzt, der ihr auf die Welt geholfen hatte, war zu der Zeit auf den Bermudas und erfuhr dort nichts von ihrem Tod. Ihr Tod hatte dort, geschweige sonstwo
außerhalb von New York City, keinen größeren Nachrichtenwert, als ihre Geburt gehabt hatte. Hier hatte er auch keinen, weil niemand außer den Promotern des idiotischen
Wettbewerbs und den Geschäftsleuten, die die Preise gestiftet hatten, das ganze Brimborium um sie auch nur im mindesten ernst genommen hatte, das Geschwätz, daß sie soviel
Wunderbares repräsentiere, die Vermischung der Rassen in Schönheit und Glück, die Wiedergeburt des Geistes, der einst New York in der großartigsten Nation der Welt zur
großartigsten Stadt der Welt hatte werden lassen, und ganz einfach Frieden und was nicht alles. Jetzt kommt es mir so vor, daß sie wie ein unbekannter Soldat auf einem Kriegerdenkmal
war, ein kleines bißchen Fleisch und Knochen und Haar, welches bis zum Irrsinn gepriesen wurde. Zufällig kam kaum jemand zu ihrer Beerdigung. Der Fernsehsender, dessen Idee der
Wettbewerb gewesen war, schickte einen niederen leitenden Angestellten, nicht einmal jemanden, dessen Gesicht man kannte, und schon gar kein Kamerateam. Wer will schon die Beisetzung der
nächsten tausend Jahre sehen? Wenn das Fernsehen sich weigert, etwas anzusehen, ist es, als wäre es nie geschehen. Es kann alles löschen, sogar ganze Kontinente, wie Afrika, jetzt
eine große Wüste, wo Millionen um Millionen von Babys, vor denen nagelneue tausend Jahre Geschichte aufragen, Hungers sterben. Unsere Tochter, heißt es, starb den plötzlichen
Kindstod. Dies ist ein genetischer Defekt, der bisher, wenn überhaupt je, nicht durch Amnioskopie zu entdecken ist. Sie war unser erstes Kind. Ach ja.

DER KRIEG WAR AUS ,
    UND DA WAR ICH ,
    ÜBERQUERTE DEN TIMES SQUARE
    MIT EINEM LILA HERZEN . 1

BEUTE
    W enn Gott beim Jüngsten Gericht Paul fragen sollte, welches der beiden korrekterweise seine ewige Heimstatt sein sollte, Himmel oder
Hölle, würde Paul wahrscheinlich vorschlagen, daß, nach seinen eigenen und nach kosmischen Maßstäben, die Hölle sein Schicksal wäre –, weil ihm seine
Freveltat einfallen würde. Der Allmächtige würde in all Seiner Weisheit anerkennen, daß Pauls Leben im Ganzen harmlos verlaufen war und daß sein zartes Gewissen ihn
bereits mächtig gefoltert hatte –, wegen ebenjener Freveltat.
    Pauls grelle Abenteuer als Kriegsgefangener im Sudetenland verloren im Morast der Vergangenheit ihre Schrecken, aber ein klägliches Bild wollte nicht aus seinem Bewußtsein versinken.
Das spielerische Geplänkel seines Weibes beim Abendessen erinnerte ihn an das, was er zu vergessen trachtete. Sue hatte den Nachmittag mit Mrs. Ward verbracht, mit Mrs. Ward von nebenan, und
Mrs. Ward hatte ihr ein exquisites Silberbesteck für vierundzwanzig Personen gezeigt, welches, wie Sue zu ihrem Erstaunen erfuhr, Mr. Ward befreit und aus dem Krieg in Europa mit nach Hause
gebracht hatte.
    »Schatz«, schalt Sue ihn, »hättest du nicht eine Kleinigkeit mit nach Hause bringen können, die ein bißchen mehr hermacht?«
    Es war nicht wahrscheinlich, daß die Deutschen Pauls Plündern beklagten, denn ein rostiger und böse verbogener Luftwaffensäbel war seine ganze Beute. Seine Gefährten in
der russischen Zone, in der Nachkriegs-Anarchie, dem

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