Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
Vom Netzwerk:
Tarbell.
    »Fünf vor elf.«
    »Gut«, sagte er schwach. Wir waren beide starr vor Angst. »Jetzt hören Sie zu. Ich glaube nicht, daß irgendwas passieren wird, aber falls doch – ich
meine, uns –, habe ich auf dem Bauernhof einen Brief hinterlegt.«
    »Das macht dann schon zwei Briefe«, sagte ich. Ich ergriff seinen Arm. »Wir können es doch noch abblasen«, flehte ich. »Wenn es wirklich einen Teufel gibt und
wir ihn ständig in die Ecke zu treiben versuchen, wird er uns bestimmt angreifen, und beim Teufel weiß man nie!«
    »Sie brauchen nicht zu bleiben«, sagte Tarbell. »Ich könnte, glaube ich, den Schalter ebensogut bedienen.«
    »Sie wollen die Sache also durchziehen?«
    »Sosehr mir davor graut«, sagte er.
    Ich seufzte schwer. »Na gut. Gott steh’ Ihnen bei. Ich werde Posten am Schalter beziehen.«
    »Okay«, sagte er mit bläßlichem Lächeln, »setzen Sie Ihre Schutzkopfhörer auf, und los.«
    Die Glocken in einem Glockenturm in Schenectady begannen, elf zu schlagen.
    Dr. Tarbell schluckte, trat an den Altar, wischte eine kauernde Kröte beiseite und begann die grausige Zeremonie.
    Er hatte wochenlang über seine Rolle nachgelesen und sie einstudiert, während ich mich auf der Suche nach einem angemessenen Ort und den grauenhaften Requisiten getummelt hatte. Ich
hatte keinen Brunnen gefunden, in den ein ungetauftes Wickelkind geschleudert worden war, aber ich hatte andere Zutaten gefunden, die selbst in den Augen des verkommensten Dämons
zufriedenstellenden Ersatz boten.
    Jetzt legte Dr. Tarbell im Namen der Wissenschaft und der Menschheit sein ganzes Herz in die Abhaltung der Messe von Saint-Sécaire und tat, mit einem Ausdruck des Abscheus im Gesicht,
das, dessen kein guter Christ innewerden könnte, ohne zugleich blind und taub und stumm zu werden.
    Irgendwie überlebte ich im Vollbesitz meiner Sinne und seufzte erleichtert, als die Turmuhr in Schenectady klagend zwölf schlug.
    »Erscheine, Satan!« rief Dr. Tarbell, als die Uhr schlug. »Höre deine Diener, Herr der Nacht, und erscheine!«
    Die Uhr schlug ein letztes Mal, und Dr. Tarbell taumelte erschöpft gegen den Altar. Nach einem Moment straffte er sich, zuckte die Achseln und lächelte. »Was soll’s«,
sagte er, »Probieren geht über Studieren.« Er nahm seine Kopfhörer ab.
    Ich ergriff einen Schraubenzieher, um die Drähte wieder zu trennen. »Und damit, hoffe ich, sind UNDICO und Pine-Institut endgültig Geschichte«,
sagte ich.
    »Nun, ein paar Ideen habe ich noch«, sagte Dr. Tarbell. Und dann heulte er los.
    Ich blickte auf und sah ihn, wie er mit weit aufgerissenen Augen heimtückisch grinste und am ganzen Körper zitterte. Er versuchte, etwas zu sagen, aber alles, was er herausbrachte, war
ein ersticktes Gurgeln.
    Dann begann der phantastischste Kampf, den je ein Mensch zu sehen bekommen wird. Dutzende von Künstlern haben versucht, das Bild zu malen, aber so hervorquellend, wie sie Tarbells Augen
auch malen mögen, so rot sein Gesicht, so knotig seine Muskeln –, nie wird es ihnen gelingen, auch nur einen Splitter des Heldentums von Armageddon einzufangen.
    Tarbell fiel auf die Knie, und als zerrte er an Ketten, von einem Riesen gehalten, begann er sich in Richtung der Kupfertrommel zu bewegen, mühsam, Zentimeter um Zentimeter. Schweiß
tränkte seine Kleidung, und er konnte nur keuchen und grunzen. Immer wieder, während er innehielt, um zu verschnaufen, wurde er von unsichtbaren Mächten zurückgezerrt. Und
wieder richtete er sich dann auf den Knien auf, machte verlorenen Boden gut und quälte sich mühsame Zentimeter vorwärts.
    Schließlich erreichte er die Trommel, stand mit enormer Anstrengung auf, als höbe er Ziegelsteine, und kullerte in die Öffnung. Ich konnte ihn hören, wie er innen gegen die
Isolierung kratzte, und der Laut seines Atmens wurde in der Kammer entsetzlich verstärkt.
    Ich war benommen, unfähig, zu glauben oder zu verstehen, was ich gesehen hatte, oder zu wissen, was als nächstes zu tun war.
    »Jetzt!« schrie Dr. Tarbell aus dem Innern der Trommel. Seine Hand erschien einen Moment lang, zog den Deckel vor, und wieder schrie er, weit entfernt und schwach:
»Jetzt!«
    Und dann verstand ich und begann zu beben, und eine Welle der Übelkeit überschwemmte mich. Ich verstand, was er von mir wollte, worum er mit dem letzten Bruchteil seiner Seele bat, die
jetzt vom Teufel in ihm verschlungen wurde.
    Deshalb verschloß ich den Deckel von außen, und ich legte den Schalter um.
    Dem

Weitere Kostenlose Bücher