Der Tee der drei alten Damen
scharlachgerötete, heiße, trockene Haut, Lähmung des Auerbachschen Plexus…«
»Auerbachscher Plexus…«, wiederholt O'Key gedankenvoll. Es ist das zweite Mal an diesem Abend, daß eine scheinbare Kleinigkeit plötzlich eine bedeutsame Wirklichkeit erhält. Da war zuerst etwas mit Wladimir Rosenstock, dem Assistenzarzt gewesen was doch?… Nun, es wird ihm schon einfallen… Und jetzt – wer hat schon einmal vom Auerbachschen Plexus gesprochen?… in einer ähnlichen Situation – ganz zu Anfang dieser verrückten Geschichte.
Aber der Auerbachsche Plexus taucht wieder unter, verschwindet. Denn plötzlich fällt O'Key mit grausamer Deutlichkeit die Tatsache ein, daß Madge Lemoyne noch immer nicht gekommen ist. Er geht ins Nebenzimmer, stellt eine Nummer ein. Eine verschlafene Stimme meldet sich.
»Verbinden Sie mich mit Fräulein Lemoyne«, sagt O'Key. Der Portier von Bel-Air brummt zuerst etwas, dann hört man das Knacken des Umschaltens. Nun summt es am anderen Ende der Leitung, summt regelmäßig, alle zehn Sekunden. O'Key zählt! Einmal, zweimal, dreimal… Beim sechsten Male, gerade als er ungeduldig werden will, ertönt wieder die schläfrige Stimme des Portiers: Fräulein Lemoyne sei nicht in ihrem Zimmer. Offenbar sei sie fortgefahren, sie habe heute ihren freien Nachmittag gehabt. Ob man etwas bestellen könne?
»Nein, danke«, sagt O'Key und hängt ein. Und sofort überfällt ihn die Frage, warum Madge ihm nichts mitgeteilt hat. Wohin ist sie gegangen? Nach der Geschichte mit Nydecker? Ist ihr etwas zugestoßen? Eine ganz unbekannte, eine verzweifelte Angst nimmt von O'Key Besitz, er kann nicht mehr ruhig bleiben, aber er weiß nicht, was er tun soll. Er macht sich Vorwürfe: faul ist er gewesen, er hätte vielleicht verhüten können, was heute abend geschehen ist, er hat sich nicht genug angestrengt! Und nun, dies Verschwinden zu allem andern! Das ist die Strafe! Ängstlich, als könne er noch etwas versäumen, verlangt er eine zweite Nummer, die berühmte Nummer, die ihm am Morgen des heutigen Tages von Herrn Martinet eingebläut worden ist… Aber auch hier tönt nur, immer in gleichen Zwischenräumen, das aufreizende Summen zurück. ›Natürlich‹, denkt O'Key, ›Herr Staatsrat Martinet ist bei seinem Pikett, gut, daß ich weiß, wo er zu finden ist. Wir werden hingehen und ihn ausholen. Herr Martinet muß sich aufknöpfen. Aber zuerst sollte ich wohl den Professor…‹ O'Key geht mit langen Schritten in den Speisesaal zurück. Aber sobald er durch die Türe getreten ist, merkt er, daß die Atmosphäre sich verändert hat.
Es waren zwei Männer mehr im Saal. Und die Anwesenheit dieser beiden Männer mußte die Veränderung der Stimmung hervorgerufen haben. Den einen der beiden kannte O'Key, und er wollte freudig, mit ausgestreckter Hand, auf ihn zugehen. Aber das Verhalten des zweiten Mannes hinderte ihn an der Ausführung dieses Vorsatzes. Denn der zweite Mann sah merkwürdig aus, merkwürdig und einschüchternd.
Er saß neben dem Professor, dieser Mann, lässig zurückgelehnt, eine brennende Zigarette zwischen Daumen und Ringfinger, und er ähnelte einem Schauspieler, der einen Gentlemaneinbrecher mimen will. Er trug Abendkleidung, sein Frack saß, wie sonst nur im Kino ein Frack sitzt, die seidenen Socken, die Lackschuhe, das Hemd, die weiße Krawatte, alle seine Kleidungsstücke wären mit einem Ausrufungszeichen zu versehen gewesen. Sonderbar war, daß diese Eleganz durchaus nicht geckenhaft wirkte, sondern selbstverständlich hoheitsvoll. Als O'Key vor ihn trat, erhob sich dieser Mann, legte die Zigarette ab, stützte sich leicht auf die Lehne des Stuhles – ›wie eine Majestät, die eine Audienz erteilt‹, dachte O'Key und verbeugte sich tief.
»Hoheit«, sagte Sir Boses Kammerdiener Charles, »Hoheit, darf ich Ihnen einen Kollegen und treuen Freund vorstellen, Simpson Cyrill O'Key, Ire, Reporter und…«
»Ich weiß«, sagte die Hoheit, »ein tüchtiger Mann, der seinem Lande allerhand Dienste erwiesen hat, aber sich nun in einer unangenehmen Situation befindet. Nicht wahr?«
»Jawohl, Hoheit«, sagte O'Key. »In einer dummen Situation.«
Der Maharaja von Jam Nagar setzte sich, rauchte schweigend, dann zupfte er an der Bügelfalte seines rechten Hosenbeins. Hierauf blickte er auf und sagte.
»Nehmen Sie Platz, Herr O'Key.« Es klang, wie wenn Kaiser Franz Joseph selig einem kleinen Leutnant bedeutet hätte: ›Stehns kommod!‹
O'Key setzte sich. Alles kam ihm verworren
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