Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
Vom Netzwerk:
Antwort. Da durchstieß ein spitzes Wimmern des Hundes die Stille, es klang wie der verzweifelte Hilferuf eines kleinen Kindes.
    »Schnell«, sagte O'Key, »wir müssen in den Garten. Sie, Maître, gehen mit den andern durch die Tür, ich springe hier hinaus. Sie bleiben wohl hier, Professor?«
    »Ich bleibe hier«, sagte Dominicé und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
    Als der Raum sich geleert hatte, stand Professor Dominicé langsam auf, schlich sich zur Tür und drehte das Licht ab. Dann schlürfte er zurück, geduckt.
    Da wächst im Fensterrahmen eine Gestalt aus der Dunkelheit. Deutlich sind die Umrisse zu erkennen gegen die Nacht draußen, die heller scheint gegen die Schwärze des Zimmers. Ein Keuchen… Die Gestalt schwingt sich aufs Fensterbrett. Sie schwankt bedenklich, fällt schließlich ins Zimmer, bleibt liegen, murmelt.
    Draußen bricht wilder Lärm los.
    »André!« ruft die Stimme des Advokaten. Dann zuckt der Schein einer Taschenlampe über die Decke des Zimmers.
    O'Keys Stimme ertönt: »Hierher! Hier liegt er!« Eine Pause. Wieder O'Keys Stimme: »Warum hat denn der Professor das Licht gelöscht? Jakob, laufen Sie schnell, zünden Sie das Licht wieder an.«
    Eilige Schritte nähern sich, verstummen vor dem Fenster.
    »Professor!« ruft eine Knabenstimme. Schweigen. Dann entfernen sich die Schritte wieder, nähern sich der Gangtür, nun steht Jakob in der Tür und fragt ängstlich:
    »Warum haben Sie das Licht gelöscht, Professor?« Dann knipst der Schalter. Der Junge fährt zurück mit einem leisen Schrei. Nahe beim Fenster hat er einen Mann erblickt, der am Boden liegt und mit weitaufgerissenen Augen zur Decke starrt.
    Aber Dominicé antwortet nicht. Das Schweigen unter dem grellen Schein der unverkleideten Deckenlampen ist schmerzhaft. Der Professor wackelt mit dem Kopf wie ein Uralter. Jakob springt ans Fenster: »Hier liegt ein Toter!« schreit er.
    Das Schweigen des Zimmers scheint sich über den Garten auszubreiten. Dann rauschen Büsche. Irgendwo, auf der Straße wahrscheinlich, surrt ein Auto an, ein hoher Ton zuerst, der leiser und tiefer wird und in der Ferne verhallt.
    »Damned!« hört man O'Keys Stimme. »Die Pneus an meinem Motorrad sind zerstochen.«
    Schritte nähern sich der Zimmertür. Als erster betritt der Journalist das Zimmer, hinter ihm der Advokat. Nach einer Weile erscheint Natascha. Ihr dunkles Haar ist wirr und feucht, Schweißtropfen glänzen auf ihrer Stirne, an ihren Schläfen. Professor Dominicé steht mit verlegenem Gesicht neben dem Sterbenden und weiß nicht recht, was er mit sich anstellen soll.
    »Jean!« sagt er. Da scheint der Sterbende zu merken, daß jemand zu ihm spricht. Alle sehen, daß er eine große Anstrengung macht, um etwas zu sagen, seine Lippen sind gespannt, einmal, zweimal erscheint die reichlich geschwollene Zunge zwischen den Zähnen. Und dann formt sich ein Laut, Mittelding zwischen Lallen und Sprechen:
    »Vala…«, sagt der Sterbende, »Vala…«
    Der Körper krümmt sich, das Atmen ist ein zischendes Geräusch, einige Zuckungen, und Dr. Thévenoz liegt reglos. Sein dünnes, blondes Haar, das sonst so tadellos gescheitelt war, steht wirr um den Kopf, und tiefe Furchen laufen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln. Sonst sieht das Gesicht friedlich aus.
    ›Vielleicht‹, denkt Jakob, der Gymnasiast, hat der Läufer von Marathon so ausgesehen, als er ankam mit der Nachricht des Sieges und dann erschöpft starb. Nur läßt hier die Nachricht an Deutlichkeit zu wünschen übrig.
    »Vala?…« wiederholt Isaak Rosène, der Advokat. »Vielleicht wollte er ›voilà‹ sagen;… und viel anderes ist in dieser Situation wirklich nicht zu sagen. Ja… voilà! Hier ist die Bescherung. Aber weiter führt es uns nicht, das sehen wir selbst… voilà… Um das mitzuteilen, hätte der arme Thévenoz nicht so weit zu laufen brauchen. Wie geht's dir, André? Was hat's gegeben?«
    André stöhnt in einer Ecke, er ist noch nicht recht aufgewacht. Maman Angèle steht neben ihm und betupft seine Schläfen mit einem feuchten Tuch, das sie in Essig getaucht hat. Aber Ronny, der Airedale, ist schon wieder munter, er schnüffelt im Zimmer umher, bellt unterdrückt und gereizt, rennt von einem zum andern, schnüffelt an den Kleidern des Toten, fährt zurück mit gesträubtem Fell. Der Professor kniet noch immer neben dem Toten, und in die verhältnismäßige Stille hört man ihn sagen, still, konzentriert, sachlich:
    »Behinderung des Sprechvermögens,

Weitere Kostenlose Bücher