Der Tee der drei alten Damen
Konflikt kommen willst, ist das deine Sache.«
Jakob, der Gymnasiast, hörte dem Zank mit offenem Munde zu. Es war ungewohnt. Früher waren seine Brüder stets friedlich zueinander gewesen, aber seit einigen Monaten herrschte hin und wieder in der ›Villa des Mimosas‹ ein unangenehmer Ton. Das hatte begonnen… ja, wann hatte das begonnen?
»Und dann noch eins«, unterbrach Wladimir den Gedankengang des jüngeren Bruders. »Du brauchst nicht allen Klatschbasen auf die Nase zu binden, daß ich mit Pflanzen experimentiere. Das geht niemanden etwas an, verstehst du? Ich arbeite für eine Fabrik pharmazeutischer Artikel, ich bin daran, eine umwälzende Entdeckung zu machen, aber die kleinste Indiskretion kann mir schaden, kann überhaupt die ganze Erfindung in Frage stellen. Verstehst du das nicht? Ich bin kein kleiner Junge mehr, du brauchst mich vor Journalisten und ähnlichem Gesindel nicht aufzuziehen, verstehst du? Weißt du, was du damit erreicht hast? Daß dieser englische Journalist letzte Nacht um mein Laboratorium herumgeschlichen ist. Ich bin sicher, er wittert eine saftige Reportage.«
»Ach«, sagte Isaak, »reg dich nicht auf. Der Reporter hat es gar nicht auf dich abgesehen gehabt, er hat nur sein Motorrad geholt. André hat es ihm repariert. Und was deine Hexenküche betrifft…«
Wladimir sprang auf. Seine wulstigen Lippen waren verzerrt, er zeigte die Zähne:
»Gebrauch nicht so blöde Worte!« zeterte er, und er hatte eine heisere Stimme, wie eine alte Frau. »Hexenküche! Du weißt gar nicht, was du sagst. Es ist ein Laboratorium, und wenn ich nicht will, daß jeder Kretin seine Nase in meine Angelegenheiten steckt, so ist das mein gutes Recht, verstehst du?«
»Bitte, bitte, beherrsch dich doch ein wenig, Bruder. Hat dich der Tod deines Arztes so erschüttert, daß du wegen derartigen Kleinigkeiten die Nerven verlierst?«
»Mein Arzt! Thévenoz war gar nicht mein Arzt. Du hast so dumme Ausdrücke! Aber das kann ich dir sagen, wenn Thévenoz nicht so neugierig gewesen wäre, so wär er vielleicht noch am Leben. Das kannst du deinem Journalisten mitteilen, Neugier kann manchmal verdammt ungesund sein. Verstehst du?«
»Ja, ja, ich versteh' schon, du brauchst gar nicht so zu brüllen. Du scheinst ja allerhand über die geheimnisvollen Todesfälle zu wissen? Warum hast du mir nie etwas davon erzählt? Schließlich, ich bespreche doch auch alles mit dir. Du warst doch ganz zufrieden, daß ich dich damals, in dieser Erpressungsaffäre, auf dem laufenden gehalten hab'. Und auch später hab' ich dir doch die ganze Geschichte mit dem Bankkassier und den 30 000 Franken ganz genau erzählt. Übrigens, an wem probierst du eigentlich dein neues Mittel aus?«
Die Frage war ganz harmlos gestellt, und doch blickte der Gymnasiast erstaunt auf seinen Bruder. Es hatte eine merkwürdige Betonung in diesen einfachen Worten mitgeschwungen. – Wladimir schwieg. Er strich Butter auf sein Brot, schnitt ein Stück Käse ab und erkundigte sich dann mit neutraler Stimme, so, als habe er die gestellte Frage gar nicht gehört:
»Was macht der Professor?«
»Der wird schlafen«, mischte sich der Gymnasiast ins Gespräch. »Ich bin bis vier Uhr morgens an seinem Bett gesessen. Der alte Mann hat mir leid getan. Er war so erschreckt. Herzklopfen hatte er auch, und Atembeschwerden, ich hab' mir ein paarmal überlegt, ob ich dich nicht rufen sollte, Wladimir. Aber du warst in deinem Labor, und da hab' ich dich nicht stören wollen.«
»Woher hast du gewußt, daß ich in meinem Labor war?« fragte Wladimir gereizt.
»Das war doch nicht schwer«, sagte Isaak versöhnlich. »Dein Labor hat ja ein Glasdach, und da habe ich das Licht gesehen.«
»Na, lange werdet ihr mich nicht mehr ausspionieren können«, Wladimir kaute, leerte seine Tasse. »Ich werde mir in der Nähe von Presinge ein Haus kaufen. Ich bekomme es billig. Heute oder morgen werde ich noch einmal zu dem Notar gehen.«
»Ich dachte, du hättest kein Geld?« erkundigte sich der Advokat.
»Ich habe das Rezept zu einem neuen Schlafmittel gut verkaufen können«, sagte Wladimir. Im Nebenzimmer schrillte das Telephon. Isaak wollte aufstehen, aber der Arzt kam ihm zuvor. »Es ist für mich«, sagte er.
»Wohl der schwere Fall im Spital?« spottete der Advokat.
Wladimir hob nur die Schultern. Dann war sein Gemurmel im Nebenzimmer zu hören, dann das Klicken beim Auflegen des Hörers und dann eine lange Pause.
»Schläfst du?« rief Isaak. Da erschien Wladimir
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