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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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du mich mit, wenn du dorthin zurückfährst?«
    »Doch, ich werd dich schon mitnehmen.«
    »Dann ist's ja gut. Du, wie kommt das, daß wir französisch zusammen reden… ?«
    »Ach«, sagte O'Key, »weil es im Englischen kein ›Du‹ gibt.«
    Baranoff, der Agent der Dritten Internationale, Nummer 72, erwachte durch ein Pochen an der Tür und war erstaunt, sich angekleidet in seinem Lehnstuhl sitzen zu finden. Durch die vorgezogenen Gardinen sickerte spärlich graues Licht. In diesem Licht nahm Baranoff (immer noch auf der zweiten Silbe betont) auf dem Tisch eine Flasche und zwei leere Gläser wahr. Auf der Etikette dieser Flasche las er, unter zwei Zeilen in Kleinschrift, die er nicht zu entziffern vermochte, groß das Wort ›Anisette‹. Mechanisch griff er in seine Tasche, zündete dann eine Zigarette mit Kartonmundstück an, aber während das Zündholz noch matt im Dämmerlicht leuchtete, wiederholte sich das Pochen an der Tür.
    »Herein!« quäkte Baranoff.
    »Wenn Sie nicht sofort öffnen, drücken wir die Türe ein«, sagte draußen drohend eine Stimme.
    »Nanu!« meinte Baranoff gemütlich, plötzlich war er hell wach, die Situation war ihm nicht unbekannt. »Wer ist denn da?« Übrigens wußte er die Antwort genau.
    »Polizei!« erwiderte die gleiche drohende Stimme.
    »Sofort, sofort!« Die nun folgende Erinnerung, die wir ausführlich wiedergeben müssen, dauerte in Baranoffs Kopfe nicht länger als drei Sekunden, die dazu benützt wurden, den Zimmerschlüssel zu suchen. Und während er ihn suchte, sah er folgendes:
    Am vorhergehenden Abend ißt er bei einem Italiener zu Nacht, ausgezeichnete Ravioli und Pepperonisalat, dazu trinkt er samtenen Barbera, vertilgt dann ein Stück Gorgonzola, genehmigt noch eine Flasche Barbera und steigt dann, gegen zehn Uhr, in ein Taxi, um heimzufahren. Er ist in glücklicher Stimmung, obwohl er eigentlich hätte erbost sein sollen, weil seine Sekretärin ihn im Stich gelassen hat. Das Taxi rumpelt, Baranoff hat sich in die abgeschabten Kissen zurückgelehnt und raucht eine Zigarre. Plötzlich, an einer Straßenecke, erspäht er einen Bekannten. Ein mageres Bürschchen, mit eingefallenem Brustkasten, und was hält das Bürschchen unter dem Arm? Eine Mappe. Das Bürschchen ist in ein Gespräch mit zwei Herren vertieft. Der eine der Herren hat jene bekannte rote Gesichtsfarbe, an die es unnötig ist, noch einmal zu erinnern, der andere ist hager, braun, mit einem Gesicht, wie aus Holz geschnitzt. Baranoff läßt zehn Meter hinter der Gruppe halten und beobachtet sie durch das Rückfenster. Die Herren scheinen das Auto erspäht zu haben, denn sie verabschieden sich von dem unheimlich mageren Jüngling, verabschieden sich kurz, ohne ihm die Hand zu geben. Das Bürschchen schlendert in der Richtung des haltenden Autos weiter. Und wie es neben der Türe des Taxis die Schritte verlangsamt, reißt Baranoff diese Türe auf, packt das Bürschchen an der Hand: »Du kommst mit mir!« faucht er bösartig. Das Bürschchen erschrickt und läßt sich ohne Widerstand in den Wagen pferchen. Dort schweigt es.
    Vor dem Hotel an der Route de Chêne zahlt Baranoff das Taxi (gut, daß er noch genügend Kleingeld in der Westentasche hat, er darf den Jüngling nicht loslassen) und schleppt Jules Pochon, den Sohn der Haushälterin Professor Dominicés, mit sich die Stufen hinauf in sein Zimmer.
    »Wo wollten Sie denn hin, mein Junge?« frägt Baranoff, nachdem er die Tür verschlossen hat, mit übler Herzlichkeit. Der Junge schweigt. Da nimmt ihm Baranoff die Mappe aus der Hand, legt sie auf den Tisch. »Woher hast du sie? Das ist doch Crawleys Mappe?«
    Der Junge schweigt.
    »Du willst mir nicht sagen, woher du sie hast? Aha, Sir Avindranath Eric Bose will Solo spielen? Das gibt's nicht. Warum hat er mir nicht mitgeteilt, daß die Mappe gefunden worden ist? Du willst nicht reden? Warte!«
    Zuerst probiert es Baranoff mit Kognak und Selterswasser. Der Junge schweigt. Dann stopft er dem Jungen ein Taschentuch in den Mund, bindet ein anderes darüber (Herr Baranoff ist, auch wenn er sich in zivilisierten Ländern aufhält, in der Wahl seiner Mittel nicht sehr heikel), versucht es mit Fingerausrenken, mit Daumenumbiegen – der Junge schweigt. Zwar stehen einige Schweißtropfen auf seiner Stirn, aber immerhin weniger als auf der des Herrn Baranoff. »Woher hast du die Mappe?« frägt er immer wieder. Endlich gibt der Junge Zeichen, er wolle antworten. Herr Baranoff, Towarisch Baranoff sollten wir

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