Der Tempel der Ewigkeit
ältere Schwester von Ramses, rieb ihre fettige Haut mit Salben ein. Weder schön noch häßlich, zu hochgewachsen und fortwährend müde, haßte sie Theben und den Süden. Eine Frau ihres Standes vermochte nur in Memphis zu leben, wo sie ihre Zeit damit zubrachte, sich mit den tausenderlei Klatschgeschichten zu beschäftigen, die das vergoldete Dasein der adligen Familien belebten.
In Theben langweilte sie sich. Gewiß, sie wurde von der besten Gesellschaft empfangen und eilte von einem Festmahl zum anderen, was sie ihrer Stellung als Tochter des großen Sethos verdankte. Doch die Mode hinkte hier der Mode von Memphis hinterher und ihr Gemahl, der schwerbäuchige und einstmals fröhliche Sary, Ramses’ ehemaliger Erzieher, versank nach und nach in Schwermut. Er, der frühere Vorsteher des Kap, jener höchsten Schule, in der die künftigen Würdenträger des Königreichs ausgebildet wurden, war durch Ramses’ Schuld zum Müßiggang verurteilt.
Zugegeben, Sary war der Anstifter einer schändlichen Verschwörung gewesen, die darauf abgezielt hatte, Ramses zu beseitigen, und Dolente hatte gegen ihren jüngeren Bruder Partei für Chenar ergriffen. Ja, sie hatten den falschen Weg eingeschlagen, aber müßte Ramses ihnen nicht jetzt, da Sethos gestorben war, verzeihen?
Seine Grausamkeit forderte ihre Rache heraus. Eines Tages würde das Glück Ramses schon verlassen, und dann konnten Dolente und Sary daraus ihren Nutzen ziehen. Inzwischen gab Dolente sich der Körperpflege hin, und Sary las oder schlief.
Chenars Ankunft schreckte die beiden aus ihrer dumpfen Trägheit auf.
«Mein geliebter Bruder!» rief Dolente aus, während sie ihn umarmte. «Bringst du uns gute Nachrichten?»
«Schon möglich.»
«Spann uns nicht auf die Folter!» drängte Sary.
«Ich werde König.»
«Naht also die Stunde unserer Rache?»
«Kehrt mit mir nach Memphis zurück! Ich werde euch verbergen, bis Ramses verschwunden ist.»
Dolente wurde bleich.
«Verschwunden…»
«Keine Sorge, Schwesterchen! Er unternimmt eine Reise in ferne Länder.»
«Wirst du mir ein wichtiges Amt bei Hof zuweisen?» fragte Sary.
«Du hast dich zwar ungeschickt verhalten», antwortete Chenar, «doch deine Fähigkeiten bedeuten mir viel. Sei mir treu ergeben, dann steht dir eine glanzvolle Laufbahn bevor.»
«Darauf hast du mein Wort, Chenar.»
Iset, die Schöne, langweilte sich zu Tode in dem prunkvollen Palast von Theben, in dem sie mit viel Liebe ihren Sohn Kha aufzog, dessen Vater Ramses war. Die anmutige, heitere Iset hatte grüne Augen, eine zierliche und gerade Nase sowie einen edel geformten Mund. Sie war eine überaus hübsche Frau und die zweite Gemahlin des Regenten.
«Zweite Gemahlin…» Wie schwer es ihr fiel, sich mit diesem Titel und den Umständen abzufinden, die damit einhergingen! Dennoch gelang es ihr nicht, auf die sanfte und kluge Nefertari eifersüchtig zu sein, die schon durch ihre äußere Erscheinung für die Rolle der künftigen Königin wie geschaffen schien, obwohl sie keinerlei Ehrsucht an den Tag legte.
Iset wünschte sich, in ihrem Herzen möge Haß auflodern und sie dazu bewegen, mit allem Ingrimm gegen Ramses und Nefertari zu kämpfen, doch nach wie vor liebte sie diesen Mann, der ihr so viel Glück und Lust bereitet und dem sie einen Sohn geschenkt hatte.
Auf Macht und Würden legte Iset, die Schöne, keinen Wert, sie liebte Ramses um seiner selbst willen, liebte seine Kraft, seine Ausstrahlung. Daß sie fernab von ihm leben mußte, war eine bisweilen unerträgliche Prüfung. Warum merkte er nicht, wie sehr sie darunter litt?
Bald würde Ramses König sein und ihr nur noch von Zeit zu Zeit kurze Besuche abstatten, bei denen sie ihm gewiß von neuem erlag, weil sie nicht imstande war, ihm zu widerstehen. Wenn sie sich wenigstens in einen anderen Mann verlieben könnte… Doch alle Bewerber, die zurückhaltenden wie die aufdringlichen, waren reizlose Wesen ohne Persönlichkeit.
Als der Vorsteher des Palastes ihr Chenars Besuch meldete, wunderte Iset sich: Was tat der ältere Sohn Sethos’ noch vor der Beisetzung in Theben?
Der Saal, in dem sie ihn empfing, war dank der schmalen, dicht unter der Decke angebrachten Fenster, durch die nur spärliche Lichtstreifen einfielen, gut belüftet.
«Du siehst großartig aus, Iset.»
«Was willst du?»
«Ich weiß, daß du mich nicht liebst, doch ich weiß auch, daß du klug bist und eine Gelegenheit zu schätzen vermagst, die dir Vorteile einbringt. In meinen Augen bist du
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