Der Tempel der vier Winde - 8
der vor seinen Füßen lag. Nichts geschah. Der Versuch glich dem Gefühl, sich anzulehnen, nur um zu spät festzustellen, daß dort nichts Halt bot. Als falle man auf die Nase.
Zedd entnahm einer seiner Innentaschen eine Prise Tarnpulver. Er schleuderte es in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der leichte Wind wehte es davon. Es glitzerte nicht.
»Wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten«, flüsterte er.
Sie drängte sich an ihn. »Würde es dir etwas ausmachen, dich ein wenig klarer auszudrücken?«
»Laß die Pferde stehen.« Er ergriff abermals ihren Arm. »Komm.«
Diesmal protestierte sie nicht, und so führte er sie im Laufschritt davon. »Was ist denn, Zedd?« fragte sie leise.
»Wir befinden uns in der Wildnis.« Er blieb stehen, reckte die Nase in die Luft und schnupperte. »Ich tippe auf Nangtong.« Er deutete im schwachen Mondlicht nach vorne. »Dort unten, in der Schlucht. Wir dürfen um nichts in der Welt gesehen werden. Vielleicht müssen wir uns trennen und in verschiedene Richtungen fliehen.«
Zedd hielt ihren Arm und stützte sie, als sie auf dem taufeuchten Gras und dem nassen Schlamm der steilen Böschung ausrutschte.
»Wer sind die Nangtong?«
Zedd war zuerst unten. Er legte ihr die Hände auf die breiten Hüften und half ihr herunter. Ihre Beine waren kurz, und sie hatte nicht die gleiche Schrittlänge wie er. Da er keine Magie zur Hilfe nahm, hätte ihr Gewicht ihn fast umgeworfen. Mit einer Hand bekam sie das ineinander verschlungene Geflecht eines Klettenstrauchs zu fassen und fand wieder Halt.
»Die Nangtong«, erklärte Zedd leise, »sind ein Stamm aus der Wildnis. Sie haben ihre ganz eigene Magie. Genaugenommen können sie im Gegensatz zu uns mit ihrer Magie nichts Bestimmtes bewirken, statt dessen rauben sie damit der Magie anderer einfach deren Kraft. Etwa vergleichbar dem Regen, der auf ein Lagerfeuer fällt.
Das ist das Problem mit der Wildnis. Dort lebt eine Reihe von Stämmen, die dafür sorgen können, daß die seltsamsten Dinge schiefgehen, wenn man seine Magie einsetzt. Darüber hinaus existieren hier Geschöpfe und Orte, die auf ganz unerwartete Weise Schwierigkeiten bereiten. Am besten macht man einen großen Bogen um die Wildnis.
Deshalb beunruhigte es mich so, als Verna uns erklärte – nachdem Nathan gemeint hatte, wir müßten den Schatz der Jocopo suchen –, diese hätten damals in der Wildnis gelebt. Ebensogut hätte Nathan von uns verlangen können, in ein lichterloh brennendes Feuer zu greifen und eine glühende Kohle herauszuholen. In der Wildnis lauern überall Gefahren: die Nangtong sind nur eine davon.«
»Und wie kommst du darauf, die Nangtong seien der Stamm, der die Schwierigkeiten mit unserer Magie verursacht?«
»Bei den meisten Stämmen aus der Wildnis, die diese Fähigkeit haben, entziehen sie der Magie die Kraft. Mein Tarnstaub hätte jedoch trotzdem funktioniert. Aber das ist nicht der Fall. Ich kenne außer den Nangtong niemanden, der dazu imstande wäre.«
Ann breitete die Arme aus, um ihr Gleichgewicht zu halten und nicht auszurutschen, während sie hinter ihm über einen umgestürzten Baumstamm kletterte. Der Mond verschwand hinter Wolken. Zedd freute sich, daß es wieder dunkel wurde, denn dadurch konnte man leichter ungesehen bleiben, auch wenn man nicht sah, wohin man trat. Allerdings wären sie in beiden Fällen tot, ob sie nun stürzten und sich das Genick brachen oder von vergifteten Pfeilen oder Speerspitzen durchbohrt wurden.
»Vielleicht können wir ihnen irgendwie zu verstehen geben, daß wir nichts Böses im Schilde führen«, schlug Ann leise von hinten vor. Sie schnappte nach seinem Gewand, um ihm in der Dunkelheit folgen zu können, während er hastig über die flache Uferböschung kletterte. »Ständig prahlst du und verlangst, ich solle dir das Reden überlassen, man möchte meinen, du hättest eine magische, honigsüße Zunge, wenn man dich so reden hört. Wieso erklärst du diesen Nangtong nicht einfach, wir seien auf der Suche nach den Jocopo und wüßten ihre Hilfe sehr zu schätzen? Viele Menschen, die im ersten Moment schwierig wirken, erweisen sich als ganz vernünftig, sobald man mit ihnen spricht.«
Er drehte seinen Kopf nach hinten, damit er seine Stimme gesenkt halten und sie ihn trotzdem verstehen konnte.
»Schon richtig, bloß spreche ich ihre Sprache nicht, daher kann ich sie schlecht für uns gewinnen.«
»Wenn diese Leute so gefährlich sind und du das wußtest, wieso warst du dann so
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