Der Tempel der vier Winde - 8
gemeißelt.
Es beruhigte ihn, Symbole zu sehen, die er kannte, auch wenn ihm ihre Bedeutung nicht vertraut war. Er trug diese Dinge, weil er dazu gezwungen war, aus Pflichtbewußtsein und weil er ein Recht darauf hatte – er wußte, daß er dazu geboren war. Nur nicht, warum. Selbst wenn er es sich anders gewünscht hätte, so war es nun einmal. Er war ein Kriegszauberer.
Abgelenkt durch den unangenehmen Druck und das Kribbeln der Schilde, hatte er die Tür erreicht, bevor er sich dessen richtig bewußt wurde. Sie war wenigstens zwölf Fuß hoch und gute vier Fuß breit, mit Gold beschlagen und mit den gleichen symbolischen Motiven verziert.
In der Mitte befand sich ein Relief mit einem der auffälligeren Zeichen, die er am Körper trug: zwei grobe Dreiecke, umgeben und durchzogen von einer doppelten Wellenlinie. Richard legte seine linke Hand auf das Heft des Schwertes, während er das Symbol mit seiner anderen Hand betastete und seinen ovalen, gewellten Außenrand nachzeichnete.
Als er es berührte, es nachzeichnete, seinen Konturen folgte, begriff er. Die Seelen, die vor ihm das Schwert der Wahrheit benutzt hatten, gaben ihr Wissen an ihn weiter, wenn er die Klinge benutzte, allerdings übermittelten sie dieses Wissen nicht immer in Worten. In der Hitze des Gefechtes war dafür oft keine Zeit.
Manchmal erreichte es ihn in Gestalt von Symbolen: diesen Symbolen.
Dies eine hier auf der Tür, wie auch die auf seinen Armbändern, stand für eine Art Tanz, den man im Kampf gegen eine große Überzahl benutzte. Es vermittelte einem die Bewegungen des Tanzes, Bewegungen ohne Form.
Des Tanzes mit dem Tod.
Das ergab Sinn. Schließlich trug er die Kleider eines Kriegszauberers. Aus Kolos Tagebuch hatte Richard erfahren, der Oberste Zauberer zu Kolos Zeiten mit dem Namen Baraccus sei ebenfalls ein Kriegszauberer gewesen, genau wie er selbst. Für einen solchen ergaben diese Symbole einen Sinn. So wie ein Schneider eine Schere auf seine Fensterscheiben malte, auf dem Schild eines Gasthauses ein Krug zu sehen war, ein Schmied ein Hufeisen annagelte oder ein Waffenmacher Messer auslegte, waren diese Symbole die Zeichen seines Handwerks: das Bringen des Todes.
Richard merkte, daß die Angst von ihm abgefallen war. Er stand in der Burg der Zauberer, wo zuvor seine Nerven stets bis aufs äußerste gespannt gewesen waren, und schlimmer noch, er stand jetzt vor dem am besten gesicherten und abgesperrten Ort in der Burg, und doch fühlte er sich innerlich ruhig.
Er berührte das Sonnenaufgangssymbol auf der Tür. Dieses Zeichen stellte eine Warnung dar.
Bewahre dir einen alles erfassenden Blick, lasse niemals zu, daß er sich auf ein einzelnes Ding beschränkt. Das war die Bedeutung des Sonnenaufgangs: Schau überall gleichzeitig hin, betrachte nichts ausschließlich für sich allein, und lasse nicht zu, daß der Feind deinen Blick lenkt, sonst siehst du nur, was er will. Wenn dann deine Verwirrung einsetzt, wird er dich angreifen und seine Chance suchen, und du wirst unterliegen.
Statt dessen muß dein Blick offen sein für alles, was ist, darf nie zur Ruhe kommen, nicht einmal beim Schnitt. Erkenne die Schachzüge deines Feindes instinktiv, warte nicht ab, bis du sie mit den Augen siehst. Mit dem Tod zu tanzen hieß, das Schwert des Feindes und seine Schnelligkeit zu kennen, ohne abzuwarten, bis man sie sah. Mit dem Tod zu tanzen hieß, eins mit dem Feind zu sein, ohne den Blick auf ihn zu heften, um ihn töten zu können. Mit dem Tod zu tanzen bedeutete, daß man die Inkarnation des Todes war, der kam, die Lebenden niederzumähen.
Berdines Stimme wehte über die Mauer zu ihm herüber. »Lord Rahl?«
Richard sah über seine Schulter. »Was ist? Stimmt etwas nicht?«
Berdine verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein. »Geht es Euch gut? Ihr habt so lange dort gestanden und die Tür angestarrt. Ist alles in Ordnung?«
Richard wischte sich mit der Hand übers Gesicht. »Ja, es geht mir ausgezeichnet. Ich habe nur … ich habe mir nur alles angesehen, was auf der Tür steht, sonst nichts.«
Er drehte sich um und schlug seine Hand, ohne nachzudenken, auf die Metallplatte in der polierten grauen Marmorwand. Kahlan hatte ihm erzählt, wenn man dieses Metall berührte, war es angeblich so, als berühre man das kalte tote Herz des Hüters selbst.
Die Metallplatte wurde warm. Die goldene Tür schwenkte geräuschlos nach innen auf.
Von dahinter drang schwaches Licht heraus. Richard machte einen vorsichtigen Schritt in die
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