Der Tempel der vier Winde - 8
Türöffnung. Wie beim Docht einer Lampe, den man langsam hochdreht, wurde das schwache Licht heller. Er tat einen weiteren Schritt, und das Licht leuchtete noch stärker.
Er ließ den Blick über die Innenseite wandern und winkte die beiden wartenden Mord-Sith heran. Welche Magie die Menschen zuvor auch daran gehindert haben mochte, sich zu nähern, jetzt war sie offenbar aufgehoben worden. Berdine und Raina konnten ihm problemlos folgen.
»Das war gar nicht so schlimm«, meinte Raina. »Ich habe nichts gespürt.«
»So weit, so gut«, gab Richard zurück.
Drinnen, oben auf Postamenten aus grünem Marmor, gab es rechts und links von ihm an der Wand angebrachte Glaskugeln, ungefähr eine Handbreit im Durchmesser. Ähnliche Glaskugeln hatte Richard bereits in den unteren Gefilden der Burg gesehen. Wie jene spendeten sie Licht.
Das Innere der Enklave des Obersten Zauberers war ein gewaltiger höhlenähnlicher Raum, der mit Steinmetzarbeiten verziert war. Vier Säulen aus poliertem Marmor, wenigstens zehn Fuß im Durchmesser, bildeten ein Quadrat, das Rundbögen stützte, die gleich hinter dem äußeren Rand einer zentralen, oben mit einem Ring aus Fenstern versehenen Kuppel standen. Zwischen jedem Säulenpaar gelangte man von dem gewaltigen Geviert in der Mitte aus in einen Gebäudeflügel. Ihm fiel auf, daß die Steinmetzarbeiten meist das Palmblattmuster wiederholten, das die goldenen Kapitelle der schwarzen Marmorsäulen schmückte. Die Marmorsäulen waren so glatt geschliffen, daß sie Bilder zurückwarfen, als seien sie aus Glas.
Fein gearbeitete Leuchter aus geschmiedetem Metall enthielten Kerzen. In fließendem Schwung geschmiedetes Eisen bildete Geländer am Rand des weitläufigen, tiefer liegenden Bodens in der Mitte.
Das war nicht das finstere Loch, das Richard erwartet hatte. Dies war ein Ort von großer Pracht, der es mit jedem aufnehmen konnte, den er je gesehen hatte. Dieser Raum war wundervoll und erfüllte ihn mit Ehrfurcht.
Der Flügel, in dem die drei standen, die Eingangshalle, schien der bei weitem kleinste der vier zu sein. Sechs Fuß hohe weiße Marmorpostamente zogen sich in langen Doppelreihen entlang eines langen roten Teppichs auf golddurchsetztem dunkelbraunem Marmor.
Die Arme um eines der Postamente gelegt, hätte Richard seine eigenen Fingerspitzen nicht berühren können. Das gerippte Faßgewölbe der Decke dreißig Fuß über ihren Köpfen ließ die mächtigen Postamente winzig erscheinen.
Auf einigen befanden sich Gegenstände, die Richard wiedererkannte: verzierte Messer, in Broschen oder am Ende von vergoldeten Ketten eingesetzte Edelsteine, ein silberner Kelch, mit Filigran verzierte Schalen und fein gearbeitete Kästchen. Vieles davon lag auf rechteckigen Deckchen mit Gold- oder Silberstickereien am Rand, andere auf Ständern, die aus einem Holz geschnitzt waren, aus dem man die Astlöcher entfernt hatte.
Auf anderen befanden sich verzogene, entstellte Gegenstände, deren Sinn er nicht begriff. Er hätte geschworen, daß sie ihre Form veränderten, sobald er sie betrachtete. Er entschied, es wäre das beste, die magischen Gegenstände nicht direkt anzusehen, und warnte die beiden anderen.
Der Flügel gegenüber, jenseits des zentralen Gevierts unter der gewaltigen Kuppel, endete an einem Rundbogenfenster, das wenigstens dreißig Fuß hoch sein mußte. Vor dem Fenster stand ein riesiger Tisch, auf dem ein Durcheinander aus Gegenständen lag: Glasgefäße, Schalen und spiralförmige Glasröhren, ein massiver, aber schlichter Kandelaber aus Eisen, der mit einer uralten Wachsschicht überzogen war, Stapel von Schriftrollen, mehrere menschliche Schädel und ein Wust aus kleineren Dingen, die Richard aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte. Der Fußboden rings um den Tisch war mit einem ebensolchen Durcheinander übersät, dazu kamen die Gegenstände, die man übereinander gestapelt oder an den Tisch gelehnt hatte.
Der Flügel rechts lag im Dunkeln. Richard war es unangenehm, auch nur in diese Richtung zu blicken. Er beherzigte die Warnung und wandte sich nach links. Dort entdeckte er Bücher. Tausende von Büchern.
»Na also«, sagte Richard und deutete nach links. »Deswegen sind wir hergekommen. Denkt daran, was ich Euch gesagt habe. Faßt nichts an.« Er blickte kurz zu den beiden hinüber, die sich staunend mit großen Augen umsahen. »Ich meine es ernst. Ich weiß nicht, wie ich Euch retten soll, wenn Ihr hier Schwierigkeiten bekommt, weil Ihr etwas angefaßt
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