Der Tempelmord
zerschmettert. Genauso wird es den Römern ergehen, wenn sie Melkart beleidigen! Es heißt, dieser Reitergeneral wolle kommen und in seinem Stolz Melkart herausfordern. Angeblich will er sogar in Waffen das Haus des Gottes betreten. Warum sollten wir ihm gestatten, was wir selbst dem großen Alexander verwehrt haben?«
»Habt ihr letzten Endes verhindern können, daß Alexander den Tempel des Gottes betreten hat? Welchen Preis habt ihr für euren Stolz gezahlt? Tyros wurde niedergebrannt. Alexander hat bewiesen, daß er selbst fast ein Gott ist, indem er die Insel für immer mit dem Festland verbunden hat und euch einen eurer Häfen stahl! Wo war Melkart, als der Makedone die Frauen und Kinder von Tyros in die Sklaverei verkaufte?«
»Vorsicht, Grieche! Ich wollte mich bei dir entschuldigen und mit dir Freundschaft schließen, doch ich werde nicht dulden, daß du meinen Gott beleidigst! Melkart hat nichts von seiner Macht verloren. Er hat Alexander das verzehrende Fieber geschickt, das ihn dahingerafft hat. Melkart ist das Licht und das Feuer! Und ein Feuer war es, das den Makedonen von innen heraus aufgezehrt hat!«
»Verstehe mich nicht falsch! Ich bin Söldner und habe bisher meinen Dienstherren immer die Treue gehalten«, beteuerte der Arzt. »Doch habe ich sie auch alle im Kampf gegen Rom untergehen sehen. Im Zweifelsfall werde ich der Letzte sein, der auf den Mauern über einer brennenden Stadt noch gegen die Römer weiterkämpft. Doch ich habe es auch viel leichter mit meiner Entscheidung, denn ich muß nur an mich denken, Abimilku. Ich habe keine Frau und keine Kinder, die für meinen Stolz vielleicht mit einem Leben in Sklaverei bezahlen müssen. Doch genug jetzt davon!« Philippos streckte dem Kapitän seine Hand entgegen. »Ich weiß, in welchem Zwiespalt du gesteckt hast, und ich werde dir verzeihen, daß du das Gastrecht verraten hast, um mich der Liebe zu deiner Stadt zu opfern.«
»Danke.« Die Stimme des Tauchers war kaum mehr als ein Flüstern. Er ergriff die Hand des Griechen, um ihre Freundschaft aufs neue zu besiegeln. »Laß uns nun gehen! Die Stunde der Morgendämmerung ist nicht mehr fern, und ich sehne mich nach der zarten Umarmung meiner Frau.« Abimilku lächelte verlegen. »Du mußt wissen, sie war in den letzten Tagen wegen meiner Verletzung sehr zurückhaltend.«
Der Arzt erwiderte das Lächeln. »Ich weiß. Ich selbst habe ihr dazu geraten, deine Kräfte zu schonen. Doch wenn du jetzt wieder die Stimme Aphrodites in dir hörst, dann bin ich sicher, bist du auch in der Lage, die Gaben der Göttin zu empfangen.«
Der Taucher lächelte.
Am Fuß der Mauer trennten sich die beiden, und Philippos kehrte zum Haus des Judäers zurück. Auch wenn er sich mit warmherzigen Worten verabschiedet hatte, so quälten ihn doch düstere Gedanken. Immer wieder sah er das brennende Tyros vor sich, und der Arzt betete stumm zur Pallas, daß sie den Tyrenern die Weisheit schenken möge, zu erkennen, welchen Weg sie beschritten hatten.
18. KAPITEL
W as soll das heißen, sie ist verschwunden?«
Simon zuckte mit den Schultern. »Sie ist fort.
Gestern abend hat sie das Haus Elagabals verlassen, danach ist sie nicht mehr gesehen worden. So sagt man jedenfalls.«
»Wer sagt das?« Philippos knallte wütend den Tonbecher auf den Tisch. Wie konnte ihm der Judäer in aller Gelassenheit erklären, daß Samu verschwunden war? Offenbar war ihm das Schicksal der Priesterin völlig gleichgültig!
»Meine Tochter Isebel hat auf dem Markt mit einer der Sklavinnen aus dem Haus des Handelsherren gesprochen. Samu hat gestern abend das Haus verlassen. Seitdem hat sie niemand mehr lebend gesehen.«
Philippos mußte sich zur Ruhe zwingen. Der Gleichmut des Judäers trieb ihn schier zum Wahnsinn. »Was heiß das, lebend?«
»In der Nacht hat Elagabal Männer ausgeschickt, um nach der Priesterin zu suchen. Angeblich haben sie sie nicht gefunden. Ich habe allerdings auch gehört, daß die Fischer heute morgen ein blutbeflecktes Himation aus dem Hafenbecken gezogen haben. Jahwe allein wird wissen, was mit der Götzenpriesterin geschehen ist. Vielleicht haben ihre Daimonen sie verschlungen?«
»Oder Elagabal wußte, warum sie in sein Haus gekommen war. Du hättest mir früher sagen müssen, daß sie dort wohnt! Ich hätte sie warnen können. Du weißt doch, was in der Stadt vor sich geht, Simon. Ein paar Tage noch, und es wird zum Aufstand kommen. Sie sind alle verrückt, diese Tyrener! Sie glauben, sie
Weitere Kostenlose Bücher