Der Tempelmord
früh müssen die Schreiber die frisch gebrannten Dokumente in das geheime Archiv bringen. Ihr wißt doch, was für Schwächlinge sie sind und was für ein Aufhebens sie immer darum machen, die Steinplatte anzuheben.«
»Was für Dokumente?« Elagabal blickte seinen Leibwächter fragend an.
»Die Kopien des Briefes, den Ihr an Berenike geschickt habt, Herr. Ihr erinnert Euch doch noch.«
»Ja, der Brief ... Du hast recht.« Der Kaufmann machte auf Samu keineswegs den Eindruck, als erinnere er sich. Sie hatte mehr und mehr das Gefühl, als sei er Wachs in Händen des Söldners. Was Hophra wohl mit ihm gemacht haben mochte, daß Elagabal sich so sehr gängeln ließ?
Die Männer verließen das Gewölbe, und als Samu schließlich hörte, wie das schwere Portal des Lagerhauses verschlossen wurde, wagte sie es, aus ihrem Versteck herauszukommen. Im nachhinein betrachtet war dieser Zwischenfall geradezu ein Geschenk der Isis. Nur auf sich gestellt, hätte sie wohl niemals den Zugang zu dem Kellergewölbe entdeckt und selbst wenn, hätte sie allein nicht die schwere Steinplatte anheben können, die es verschloß. Auch der Hinweis auf die Tontafeln in der Glut war Gold wert. Sie selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, ausgerechnet diese Tafeln näher zu untersuchen.
So entzündete sie wieder ihre Öllampe und holte dann mit Hilfe einer eisernen Zange die gebrannten Tafeln aus der fast verloschenen Glut des Feuers. Der Text auf den fünf Tafeln war in aramäischer Sprache verfaßt. Die Schriftzeichen erschienen Samu ein wenig verzerrt, doch mochte es daran liegen, daß sie nicht dazu geschaffen waren, mit einem Schreibkeil in frischen Ton gepreßt zu werden. Was den Inhalt anging, waren die Schreiben eine Enttäuschung. Es war lediglich eine Bestätigung dessen, was sie ohnehin schon wußte. Elagabal schien der Kopf der Verschwörung in Tyros zu sein, auch wenn Hophra der zerstörerische Daimon war, der hinter allem stand. Der Kaufmann wandte sich an Königin Berenike um Hilfe und berief sich dabei auf frühere Vereinbarungen. Offenbar sollte die Rebellion in Tyros so etwas wie ein allgemeines Zeichen zum Aufstand werden. Außerdem bedankte er sich bei der Herrscherin für die Waffenlieferung. Woher Berenike wohl über römische Kurzschwerter verfügte, dachte Samu bei sich. Dann legte sie die Tontafeln in die Asche zurück und wandte sich dem Eingang zum Kellergewölbe zu.
Die Treppe war aus dem Felsen geschlagen und führte in einer leichten Krümmung in die Tiefe. Hier und da waren an den Seitenwänden die Reste von primitiven Zeichnungen zu erkennen.
Es gab einen knienden Helden, der einen Löwen umklammert hielt, und ein andermal eine Frauengestalt, der Waffen aus den Schultern zu wachsen schienen. Insgesamt hatte Samu den Eindruck, als habe man sich Mühe gegeben, die Zeichnungen wieder von den Wänden zu entfernen. An vielen Stellen fand sie tiefe Schrammen auf der Felswand, durch die die Göttergestalten unkenntlich gemacht worden waren. Auch waren die Wände und die Decke schwarz vor Ruß, so als habe es einst ein verzehrendes Feuer in dem Gewölbe am Ende der Treppe gegeben. Oder stammte der Ruß nur von den Fackeln Tausender Gläubiger, die über Generationen das Gewölbe hinabgestiegen waren?
Nach ungefähr vierzig Stufen mündete die Treppe in ein Gewölbe, das so aussah, als ginge es auf eine Höhle zurück, die später künstlich erweitert worden war. Am Ende des länglichen Raumes befand sich eine Nische, in der vielleicht einst eine Götterstatue gestanden hatte. Samu spürte deutlich die mächtige Aura dieses Ortes. Die magischen Kräfte, die längst vergessene Priester hier einst beschworen hatten, schienen der Ägypterin noch immer präsent. Samu spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Ein Schaudern überlief sie. Es wäre besser, wenn sie an diesem Ort nicht zu lange verweilte! Hastig schlug sie ein Schutzzeichen gegen Daimonen und sah sich dann nach den Kisten um, die ordentlich aufgereiht an einer der Längswände des Gewölbes standen.
Die hölzernen Kisten hatten keine Deckel und waren durch schmale Brettchen in Fächer unterteilt, in denen sich Tontafeln stapelten. Neugierig machte sich Samu daran, die Schriftstücke zu studieren, und war schon bald überrascht, welchen Umfang die geheimen Aktivitäten des Kaufmanns annahmen.
So gab es Verträge mit verschiedenen Piraten, in denen Elagabals Schiffen freies Geleit zugesichert wurde. Auf der anderen Seite wiederum
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