Der Teratologe (German Edition)
auf dem Schießstand.
»So. Wir verschwinden jetzt, Sharon.«
Der britische Mann schob sie aus dem Eingangsbereich hinaus in die warme, windige Nacht, in der ein kohlrabenschwarzer Van auf sie wartete.
(I)
Westmore zündete sich eine Billigzigarette aus dem Supermarkt an und plapperte munter drauflos. Der Flieger von Los Angeles nach Detroit hatte eine geschlagene Stunde lang auf der Rollbahn herumgestanden, weil das Lüftungssystem repariert werden musste.
»Kann ich das Flugzeug nicht für ein paar Minuten verlassen, um eine Zigarette zu rauchen, während ihr dieses Mistding auf Vordermann bringt?«, hatte er den Steward gefragt. Nein, das sei nicht möglich, wurde ihm geantwortet. Aber wenn es ihm zu lange dauerte, konnte er gerne auf eine andere Fluggesellschaft umbuchen.
Dann war da noch dieser fette Typ gewesen, der neben ihm saß und roch, als hätte er sein T-Shirt seit Jahren nicht gewaschen. Das ist mein Karma, dachte Westmore resigniert. Jetzt hockte er in der Flughafenbar und wartete auf diesen Bryant, einen Journalisten, dessen Vorname ihm partout nicht mehr einfiel. Normalerweise trank Westmore Bier, aber nach diesem zermürbenden Abenteuer brauchte er etwas Stärkeres. Er orderte einen Scotch mit Soda und keuchte nach dem ersten Schluck.
»Sehe ich etwa aus, als gehörte ich zum Rat Pack?«, nörgelte er die Barfrau an. »Ich habe einen Whiskey mit Wasser bestellt. Wo ist denn bitte das Wasser abgeblieben?«
Sie feixte zurück und stellte dabei ihr überschminktes Gesicht und die unvorteilhafte blonde Dauerwelle, die aussah wie ein Haufen Pommes, zur Schau. »Die meisten Kunden beschweren sich nicht, wenn man ihnen einen harten Drink einschenkt.«
Tatsächlich musste ihr Westmore insgeheim beipflichten. Was einen nicht umbrachte, machte einen bekanntlich stärker. »Und woran haben Sie erkannt, dass ich einen nötig habe?«
»Das ist ganz einfach, Kumpel. Die meisten Alkoholiker geben ziemlich mieses Trinkgeld.«
»Ich mag Sie jetzt schon! Sind Sie verheiratet?«
Die Kellnerin wandte sich ab und verschwand Richtung Theke, während sich Westmore um seinen Drink kümmerte. Es musste ein billiger Fusel sein, denn er schmeckte verdächtig nach Kerosin. Als er sich umschaute, bemerkte er, dass er zu dieser Zeit am späten Vormittag der Einzige in der Bar war und auch an den Terminals kaum Betrieb herrschte.
Die schwarze Wolke, die über seinen Gedanken hing, trug nicht gerade dazu bei, seine Stimmung zu verbessern. Er wusste, dass er kein Hellseher war, aber immer wenn er vor einem Fotoshooting seine Zustände bekam, gab es einen Grund dafür. Wie damals bei seinem Abstecher in die Hamptons, um einen vom Feuilleton gefeierten abstrakten Maler in seiner spießigen Strandvilla zu interviewen. Westmore fand, dass seine Kunstwerke aussahen, als hätte jemand wahllos Farbe auf eine Leinwand geschleudert. Er hätte es selbst nicht schlechter hinbekommen.
Während Westmore noch das Blitzgerät aus seiner Tasche kramte, war der alte Knacker mit einem Herzinfarkt in seinem Sessel verreckt.
Was soll ich jetzt machen!, hatte er dem Schicksal zugebrüllt. Einen verfickten Leichnam fotografieren?
Dann war da dieser Auftrag gewesen, als ihn ein Magazin nach Redmond im Bundesstaat Washington einfliegen ließ, um ein paar Fotos von Bill Gates zu knipsen. Westmore kämpfte im Taxi zum Flughafen mit einigen heftigen Attacken. Dann bekam das Ding auf dem Sepulveda mitten im Berufsverkehr plötzlich einen Platten und er verpasste seinen Flug. Die Maschine stürzte ab.
Momentan ging es ihm ähnlich dreckig.
Dann schoss ihm ein Wort durch den Kopf. Genauer gesagt ein Name. Farrington.
Schon der Name hörte sich überkandidelt an, so wie Carnegie, Van Buren oder Rothschild. Blutjunge, 30-jährige Multimilliardäre, dachte Westmore. Es war nichts Neues für ihn. Er schoss seit fünf Jahren Fotos von diesen kaviarfressenden Snobs. Elende Blaublüter. Schon ihre Taschentücher kosteten mehr als Westmores bester Anzug. Aber was zur Hölle ließ gerade die Schmetterlinge in seinem Bauch herumflattern? Vielleicht konnte Bryant ihm Anhaltspunkte geben.
Sie arbeiteten gemeinsam für Blue Chip, ein Magazin, das schamlos das Konzept von Forbes kopierte und am Kiosk richtig eingeschlagen hatte. In der Vergangenheit waren sie schon mehrfach gemeinsam losgezogen – unter anderem für ein Porträt von Donald Trump und eine Homestory bei den Rockefellers. Dann war da noch dieser legendäre Besuch bei einem
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