Der Teratologe (German Edition)
Indianerhäuptling gewesen, der in Connecticut das größte Kasino im ganzen Bundesstaat betrieb. Bryant machte selten Ärger. Ein völlig unkomplizierter Vertreter seiner Zunft. Normalerweise knipste Westmore schnell seine Fotos, Bryant ließ sein Diktiergerät laufen, und nach weniger als einer Stunde zogen sie wieder von dannen. Er hoffte, dass der bevorstehende Auftrag genauso reibungslos verlief.
Er schaute sich genervt um. Er mochte es nicht, der einzige Gast in einer Bar zu sein. Er fühlte sich dann immer wie ein Mann mit einem Problem, das er vermutlich auch hatte. »Hey, wie kommt es, dass hier absolut nichts los ist?«
»Könnte daran liegen, dass Sie hier sind?«, antwortete sie.
»Sehr hübsch und geistreich.«
»Ich kann’s auch weniger charmant formulieren. Um diese Zeit trinken die meisten Menschen noch nicht.«
»Ah, das ist es also …«
Sie schlenderte davon, als unvermittelt ein großer Schatten über Westmores Schulter aufragte.
»Ist es nicht etwas früh zum Saufen?«
Westmore erstarrte. »Das sagt mir heute irgendwie jeder.« Bryant trat an den Tresen. Ein imposanter Schwarzer mit kahl rasiertem Schädel, der mit zwei Metern extrem groß gewachsen war, 120 Kilo auf die Waage brachte und kein Gramm überflüssiges Fett mit sich herumtrug. Die Barfrau zwinkerte ihm zu. Typisch, dachte Westmore.
Bryant sah nicht aus wie ein Journalist. Eher wie ein Kickboxer oder ein Typ, der in einer versifften Bar voller Rednecks mit einer kurzen Handbewegung für Ordnung sorgen konnte. Er trug Anzug und Krawatte, während Westmore Jeans, Velcro-Turnschuhe und ein T-Shirt angezogen hatte, auf dem das Logo von CAPTAIN KIDD’S SEAFOOD MARKET, REDONDO BEACH prangte.
»Wir führen heute ein Interview mit einem Milliardär«, erinnerte Bryant ihn. »Musstest du dich dafür so rausputzen?«
»Komm schon, diese Turnschuhe von Velcro kosten immerhin zehn Mäuse bei K-Mart.« Dann schwenkte Westmore seinen hochprozentigen Drink. Seine Hand zitterte dabei.
»Was ist los mit dir?«, wollte Bryant als Nächstes wissen. »Selbst ich habe dich so früh am Tag noch nie so nervös gesehen.«
Was konnte Westmore darauf antworten? »Ich habe einfach … ein schlechtes Gefühl, verstehst du?«
»Nein, verstehe ich nicht.«
»Wenn ich solche Zustände bekomme, gibt es meist einen konkreten Auslöser. Muss an unserem Auftrag liegen.«
»Was denn? Wegen Farrington? Ist doch nur ein weiterer Milliardär. Wir sehen solche Leute doch andauernd. Sie sind wie Sportstars, alle gleich, durch die Bank riesengroße Arschlöcher.«
»Der Typ ist gerade mal 30 Jahre alt«, führte Westmore an. »Wie kann man in dem Alter schon dermaßen viel Kohle scheffeln?«
»Termingeschäfte im internationalen Devisenhandel. Im Schnitt transferiert er drei Milliarden Dollar täglich. Farrington ist ein ziemlich erfolgreicher Börsenmakler. Unter zehn Millionen Dollar pro Transaktion macht er für seine Kunden keinen Finger krumm. Er beobachtet die weltweite Umverteilung von Geld rund um die Uhr. Er bekommt alles mit, was passiert. New York, Tokio, Zürich, Hongkong. Dollars. Yen. Euros. Lire. Rubel. Seine eigenen Profite jongliert er durch die Kapitalmärkte, Interbankenmärkte, setzt auf Anleihen oder Investitionen in flexible, aufstrebende Unternehmen.«
Westmores Gesicht verzog sich verächtlich. »Tja, ich schätze, was immer auch gerade aus deinem Mund kam, beantwortet meine Frage.«
»Was beunruhigt dich? Wir wissen, dass er sauber ist. Die Jungs vom IRS und SEC überprüfen diese Typen bis ins kleinste Detail. Was? Glaubst du, er schmuggelt heimlich biologische Waffen in den Irak? Oder dass er in Afrika mit Sklaven handelt? So eine Mutmaßung hast du schon bei dem letzten Kerl urplötzlich aus dem Hut gezaubert.«
»Ich weiß nicht, was es ist. Ich fühle mich einfach merkwürdig.«
»Westmore. Du bist merkwürdig. Sei froh, das macht dich so einmalig.«
»Junge, für jemanden, der sich erst mal darüber beschwert, dass sein Drink zu hart ist, hast du ihn aber ziemlich flott runtergekippt«, kommentierte die Barfrau Westmores leeres Glas.
»Kann ich dieses Mal bitte ein Corona Light haben?«, fragte Westmore. Der schlechte Scotch schien ihm den Magen verätzt zu haben.
»Nennen die Engländer so nicht auch zu kurz geratene Schwänze?«, gab sie zu bedenken, um kurz danach eine geöffnete Flasche vor ihm hinzustellen.
»Die geht aufs Haus, oder?«, erkundigte sich Westmore.
»Nein, aber die kann auf Ihren Kopf gehen, wenn
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