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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Ende des Weges, dachte er.
     
    Als er schließlich einschlief, träumte er von seiner alten Schule. Die Schule hieß Sankt Augustin. Sie war nach einem Heiligen benannt, von dem er nicht mehr wusste als seinen Namen. In seinem Traum war er sechzehn Jahre alt, und vor der Schule hatte man einen tiefen Graben ausgehoben, ein endloses Gewirr von Gängen und Tunneln, in dem er sich hoffnungslos verirrt hatte. Der Lärm heranrückender Panzer trieb ihn durch das Labyrinth aus Lehm und Matsch. Das Scheppern der Panzerketten und das Brüllen der Motoren in seinem Rücken wurden lauter und lauter, während er von blinder Panik erfüllt durch die Gänge hastete. Hinter ihm detonierten die ersten Granaten. Eine Druckwelle schob ihn vorwärts. Hitze versengte die Härchen in seinem Nacken, Steine und Dreck regneten auf ihn herab. Er schrie, aber er konnte seine eigene Stimme über dem Brüllen der Welt nicht mehr hören.
    Plötzlich stolperte er aus dem Tunnel in gleißendes Tageslicht. Der Lärm der Panzer und das Donnern der Geschütze waren verstummt. Er befand sich auf einer endlosen Fläche aus Eis, die das Licht der Sonne grell reflektierte. Er stand auf einem Gletscher. Kalter Wind strich über das Eis und trieb feine Schneekristalle vor sich her. Als eine schwarze Gestalt vor die Sonne trat und ihren Schatten auf ihn warf, erwachte er.
    Er war nicht allein.
    Neben ihm auf dem Bett saß ein Mann. Seine Gestalt verdunkelte das Kaminfeuer, sein Gesicht lag im Schatten. „Da bist du ja endlich“, sagte der schwere, schwarze Umriss mit sonorer Stimme. „Ich habe lange auf dich gewartet.“
    Erik richtete sich im Bett auf. Er versuchte, seinen Blick auf den Fremden zu fokussieren, doch sein dunkler Umriss waberte unstet vor den Flammen des Kamins. „Wer sind Sie?“
    Der Fremde streckte eine Hand aus und legte sie auf seinen Arm. Die Stelle, an der der Fremde ihn berührte, wurde augenblicklich kalt und gefühllos. Der Fremde neigte den Kopf tief in die Schatten, und die Glut umwehte seine Schultern wie fliehende Wimpel. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen die Konturen des Mannes zu verschwimmen, und einen Moment lang schien es Erik, als stehe ein riesiges schwarzes Tier auf seinem Bett. Gewundene, armdicke Hörner erwuchsen aus seinem Schädel und verschwanden hinter ihm in der Dunkelheit des Raumes.
    „Verschwinde“, keuchte er. Er wollte die Arme heben, doch sie fühlten sich unendlich schwer und träge an. Erik presste die Augen zusammen, und als er sie wieder öffnete, stand der Mann vor ihm und lächelte auf ihn hinunter. Seine Zähne glänzten weiß wie Schnee in der Finsternis. „Oh, Erik“, sagte er. „Du wirst Großes an diesem Ort vollbringen.“ Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab. Seine Schritte klangen laut auf den hölzernen Dielen. Er ging hinaus und ließ die Eingangstür offen stehen.
    Dann war er fort.
    Erik kroch tiefer unter die Daunendecke. Er zitterte am ganzen Körper. Schlafe ich?, fragte er sich. Träume ich?
    Er schloss die Augen und zog die Decke fest um sich. Es dauerte lange, bis das Zittern nachließ. Und bevor er endlich zurück in die tröstende Dunkelheit sank, spielte sich eine Szene in seinem Kopf ab, die er ebenso gut kannte, wie er sie verabscheute. Sie war schon zu oft hinter seinen geschlossenen Augenlidern abgelaufen.
     
    Die elektrische Glühbirne taucht das Zimmer des Direktors in kaltes Licht. Ein Sturm faucht um die Ecken des Schulgebäudes und peitscht Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Der Lehrer sitzt auf einem Holzstuhl vor einem runden Konferenztisch. Ihm gegenüber sitzen der Schuldirektor, der Gemeindepfarrer und eine Nonne, die an der Schule Religion unterrichtet. Er weiß, dass sie ihn hasst. Sie hat es ihm gesagt.
    Die Tür des Büros öffnet sich, und herein tritt Schulrat Obermeier. Er ist jung für einen Schulrat und lächelt nervös. Hinter ihm betritt ein anderer Mann das Büro, den der Lehrer noch nie zuvor gesehen hat. Er ist so groß, dass er den Kopf einziehen muss, als er durch die Tür schreitet. Er trägt einen breitkrempigen Hut, sein Gesicht liegt im Schatten. Er nickt den Anwesenden zu, lehnt sich an das Regal neben der Tür und verschränkt die Arme vor der Brust. Schulrat Obermeier schließt leise die Tür.
    Der Schuldirektor wirft Obermeier einen missmutigen Blick zu. „Können wir anfangen?“, fragt er, und in seiner Stimme schwingt dieselbe selbstverständliche Autorität mit, die sein maßgeschneiderter alter brauner

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