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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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da, um mich zu stützen.“
    Schweigen hängt über dem Raum wie dichter, feuchter Nebel.
    „Das tut mir sehr leid“, sagt der Pfarrer schließlich und weicht seinem Blick aus. „Aber ich bin mir sicher, Gott hatte einen Grund dafür, sie zu sich zu holen.“
    „Schluss jetzt!“, brüllt der Direktor und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wir alle mussten Opfer bringen in diesem Krieg, also ersparen Sie uns Ihr jämmerliches Selbstmitleid!“ Der Direktor stützt beide Hände auf die Tischplatte und schließt kurz die Augen. An den Lehrer gewandt sagt er: „Sie werden diese Schule verlassen. Ihre Ansichten sind nicht länger tragbar.“
    „Sie lassen mich das Schuljahr nicht zu Ende bringen?“
    „Ha! Keinen einzigen Tag. Keine Stunde. Sie werden uns noch heute verlassen, Herr Strauss. Sofort. Sie werden nicht zu Ihrer Klasse zurückkehren. Schwester Gisela war so freundlich, Ihre persönlichen Sachen für Sie zusammenzupacken. Und das Kreuz wieder aufzuhängen.“
    „Sie können mich nicht einfach rauswerfen.“
    „Doch, das kann ich. Ab sofort sind Sie beurlaubt. Im Oktober werden Sie den Schuldienst wieder aufnehmen, jedoch, und darüber bin ich sehr froh, weit weg von hier.“
    „Wohin schicken Sie mich?“
    „Nach Thannsüß“, sagt der Schulrat.
    Erik wendet sich zu Obermeier um. Dieser erwidert seinen Blick, und Erik glaubt, etwas wie Mitleid in seinen Augen erkennen zu können. Schließlich wendet Obermeier sich ab und blickt aus dem Fenster.
    „Ein ruhiger Ort!“ Der Direktor lehnt sich zurück und lächelt grimmig. „Sie werden viel Zeit zum Nachdenken haben. Über das Leben. Über Gott.“
    „ Thannsüß?“, fragt der Lehrer. „Wo soll das sein?“
    „In den Alpen, am Fuß des Grimboldgletschers“, antwortet der Schulrat schnell. „Schon mal davon gehört?“
    Der Lehrer schüttelt den Kopf.
    „Ich konnte einiges in Erfahrung bringen. Thannsüß ist ein kleines Dorf mit zweihundert Einwohnern. Die meisten sind einfache Bauern. Der dortige Pfarrer, der bislang auch das Amt des Lehrers innehatte, ist alt und krank. Sie nehmen seine Stelle ein. Nur in der Funktion des Lehrers, natürlich.“ Für einen Moment wird es still im Raum.
    „Und wenn ich mich weigere?“, sagt der Lehrer schließlich.
    „Dann verlieren Sie Ihren Beamtenstatus.“ Der Direktor hat seine Souveränität wiedergefunden. „Versuchen Sie erst gar nicht, sich auf eine andere Stelle zu bewerben. Ich habe ihren Namen weitergeleitet. Keine Schulbehörde, die etwas auf sich hält, wird Sie jetzt noch einstellen. Zumindest nicht hier, nicht in der nächsten Gemeinde und auch nicht in der darauf folgenden. Hier sind Sie fertig.“ Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln des Triumphes. „Und jetzt gehen Sie. Sie haben sich am Samstag, den 6. Oktober 1956, zwei Uhr nachmittags, im Pfarrhaus von Thannsüß einzufinden. Schwester Gisela, begleiten Sie den Mann zur Tür. Und schließen Sie hinter ihm ab. Herr Strauss hat ab sofort Hausverbot in Sankt Augustin. Kommen Sie nie wieder hierher. Und versuchen Sie um Gottes Willen, Ihr Leben in den Griff zu bekommen, Mann. Beten Sie zu Gott, dass er Ihrer armen Seele gnädig ist. Und jetzt raus hier.“
     
    Am Abend desselben Tages steht plötzlich Obermeier vor seiner Tür. Marie begrüßt ihn freundlich, vielleicht hat sie noch Hoffnung. Sie hat viel geweint heute, aber sie lässt sich nichts anmerken. „Herr Obermeier“, sagt sie. „Bitte, kommen Sie herein.“
    „Ich bedaure die Störung, Frau Strauss“, murmelt Obermeier. „Es ist spät. Aber ich hätte gerne noch ein paar Worte mit Ihrem Mann gewechselt, wenn Sie gestatten.“
    „Natürlich.“ Marie zieht die Tür weiter auf, bittet ihn herein. Erik tritt neben sie, küsst sie auf die Wange und schiebt sie sanft beiseite. „Danke, Marie“, flüstert er in ihr Ohr. „Ich mach das schon.“
    Maries Augen suchen die seinen. Dann nickt sie, streicht ihm über den Arm, dreht sich um und geht hinüber zum Esstisch.
    Erik sieht ihr nach, dann stellt er sich in den Türrahmen und baut sich vor Obermeier auf. „Was wollen Sie noch“, fragt er.
    Obermeier leckt sich über die Lippen. „Mit Ihnen reden.“ Er zwingt sich zu einem Lächeln. „So geht das doch nicht.“
    Erik sieht ihn stumm an.
    „So wie heute Vormittag, meine ich“, sagt Obermeier. „So geht das nicht. Das war bedauerlich. Sankt Augustin wäre sehr geholfen, wenn dieser alte Mistkerl von Direktor endlich in Pension gehen würde.

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