Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Petroleumlampe spiegelte sich in der Scheibe. Hinter dem Fenster war nichts als Schwärze. Das elektrische Licht hat die Finsternis besiegt, dachte er. Wir kennen die wahre Dunkelheit nur noch aus den Erzählungen der Alten. Aber hier oben ist es anders. Es ist, als könnte man die Dunkelheit mit Händen greifen.
Auf dem Hof näherten sich Schritte. Die Wirtschafterin betrat das Gästehaus, einen Steinkrug in der einen Hand, einen voll beladenen Teller in der anderen. Sie stellte beides auf dem Esstisch ab. „Wie gesagt, es ist nicht viel.“ Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. „Etwas Schinken, Rohwurst und ein Stück Käse. Ein Apfel aus dem Garten. Und ein halber Laib Brot. Das Brot habe ich heute frisch gebacken, es müsste sogar noch warm sein. In dem Krug ist Wein für Sie. Mehr kann ich Ihnen heute Nacht nicht mehr anbieten.“
„Das ist mehr als genug. Sie sind sehr freundlich.“
Sie bedachte ihn mit einem knappen Nicken. „Hier ist Ihr Schlüssel.“ Sie hängte den eisernen Schlüsselbund über die Türklinke. „Sie werden ihn nicht brauchen, es ist hier nicht wie in der Stadt. Aber ich dachte, dass Sie ihn vielleicht haben möchten, weil Sie es so gewohnt sind.“
„Danke, Anna. Sagen Sie, etwas scheint mit dem elektrischen Licht nicht zu stimmen. Vielleicht ist die Birne kaputt?“
„Oh nein , das glaube ich nicht.“ Sie hob das Kinn. „Wir haben Strom von neun bis elf, im Sommer. Im Winter haben wir Strom von sechs bis neun. Es ist schon nach neun. Sie sind zu spät. Sie haben den Strom verpasst.“
Er lächelte müde. „ Verstehe.“
„Dann wünsche ich eine gute Nacht.“
„Eins noch“, sagte er. „Mein Wagen ist auf dem Weg hierher stecken geblieben, in der Nähe des alten Bergwerks.“
„Darum kümmern Sie sich morgen“, antwortete sie. „Jetzt essen Sie, dann schlafen Sie. Morgen ist ein neuer Tag.“
Er spürte die Erschöpfung in seinen Gliedern, schwer wie geschmolzenes Blei. „Sie haben Recht. Gute Nacht.“
Sie sah ihn länger an, als ihm angenehm war. „Gute Nacht“, sagte sie schließlich, ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Kapitel 4
Nachdem die Wirtschafterin gegangen war, schloss der Lehrer die Tür des Gästehauses ab. Die Anspannung, die ihn umklammert hatte wie ein Schraubstock, wich langsam von ihm. Von Zeit zu Zeit tauchte die Szene in der Kirche vor seinem geistigen Auge auf, aber er drängte sie zurück in die Dunkelheit.
Er setzte sich an den Esstisch und schenkte Wein in eines der Gläser, die dort bereit standen. Im Schein der Petroleumlampe aß er das Brot und die Wurst, den Käse und den Apfel. Er trank den schweren roten Wein dazu. Es schmeckte köstlich, und er ließ nichts übrig. Nach dem Essen setzte er sich in einen der Sessel vor dem Kamin und legte die Füße auf den anderen Sessel. Während er ins Feuer starrte, trank er den Rest des Weins. Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch durch die Nase aus u nd schmeckte das würzige Aroma.
Hier bist du also, dachte er. Bereit, deine Strafe zu empfangen. Wenigstens haben sie dich nicht geköpft. Sie haben dich nur ins Exil geschickt. Wie Napoleon auf Elba. Wie Ovid in Tomi, der eisernen Stadt am Schwarzen Meer. Aber du bist kein Kaiser und auch kein Dichter. Du bist nur ein kleiner Lehrer. Keine Armeen werden dir treu zur Seite stehen, keine Freunde werden zu deiner Rettung eilen. Du bist allein.
Aber Marie wird kommen.
Ja, Marie.
Als er zu Bett ging, konnte er lange nicht einschlafen. Er dachte an seine Wohnung in München und er dachte an den Abschied von Marie. An die Tränen, die sie vergossen, und an die Tränen, die er zurückgehalten hatte. Er dachte an seine alte Schule und an seinen letzten Tag dort. Man hatte ihm nicht einmal Zeit gegeben, sich von seinen Schülern zu verabschieden. Er wickelte sich fester in die schwere Daunendecke. Das ist deine Strafe, dachte er. Vielleicht hast du sie ja verdient. Probleme muss man beizeiten aus der Welt schaffen, sonst wachsen und wuchern sie wie ein Tumor. Man hat dich herausgeschnitten. Man hat dich entsorgt, in einem Kaff am Ende der Welt. In einem schäbigen kleinen Haus am Fuße des Gletschers. In einem Gästehaus, aber du bist kein Gast. Du bleibst für immer.
Er bemerkte, dass seine Hände sich unter der Bettdecke zu Fäusten geballt hatten. Der Wind heulte in Böen um das kleine Gästehaus , schüttelte die Obstbäume und rüttelte an den Fenstern.
Thannsüß am
Weitere Kostenlose Bücher