Der Teufel mit den blonden Haaren
halten?“
Frau Ingrid schüttelte energisch den Kopf. Ihre großen, hellblauen Augen waren voll abwartender Überraschung auf Gaby gerichtet,
„Eine Diebin? Nein, um Gottes willen, wie kommen Sie denn auf eine solche absurde Idee?“
Gaby machte eine vage Handbewegung.
„Damals, als ich mit Ihrer Tochter in der Untersekunda war, wurde während der Pause Geld gestohlen. Eines Tages entdeckte man mich während der Pause im Klassenzimmer, ich wollte die Mathematik abschreiben, weil ich Mathematik nicht kapiert habe. Da stürzten sich alle auf mich und sagten, ich hätte das Geld gestohlen, der Schein sprach gegen mich, und so flog ich von der Schule.“ Sie schaute Sabines Mutter mit ihrem unschuldigsten Blick an. „Ich schwöre Ihnen, Frau Mercker, ich war wirklich unschuldig. Aber Sabine wird mir Schwierigkeiten machen.“
„Ach, woher denn!“ sagte Frau Mercker zuversichtlich. „Ich kenne sie doch und ich werde mit ihr reden. Außerdem würde ich es gar nicht dulden, daß sie...“
Auf der Diele draußen klingelte das Telefon.
„Einen Augenblick“, sagte Frau Mercker und ging hinaus, kam aber sofort wieder herein. „Ein Gespräch für Sie, Gaby.“
Gaby warf einen raschen Blick auf die Küchenuhr: genau sieben Uhr, wie sie es mit dem Mechaniker Franz verabredet hatte.
Als sie wieder in die Küche kam, sagte sie:
„Ein guter Bekannter von mir, ein Kollege aus meiner Firma, ich habe ihn heute angerufen und ihm meine Adresse gesagt. Er ist bereit, mich heute nacht hier herauszufahren, ich möchte in mein Zimmer und mir ein paar Sachen holen, schließlich kann ich ja nicht ausschließlich Sabines Kleider tragen. Wenn ich mich beeile, bekomme ich doch vom an der Hauptstraße noch den Bus nach München, oder?“
Frau Ingrid war ein wenig verwirrt.
„Ja — schon, der fährt um Viertel nach sieben, aber wollen Sie denn nicht lieber — vielleicht könnte Sie Toni morgen...“
„Vielen Dank“, sagte Gaby und hatte schon die Türklinke in der Hand, „ich mache Ihnen Umstände genug. Und ich komme ja gleich wieder ‘raus, es wird bestimmt nicht spät werden.“ Sie zwinkerte Frau Mercker vertraulich zu. „Und legen Sie bei Sabine ein gutes Wort für mich ein, damit ich Gnade vor ihren Augen finde.“
Rasch verließ sie das Haus und war froh, daß ihr niemand begegnete.
*
Das Abendessen im Hause Mercker verlief schweigsam, was aber nicht weiter auffiel, da die ganze Familie vor dem Fernsehgerät saß und daher für Gespräche ohnedies keine Möglichkeit vorhanden war. Außer Frau Ingrid aber konnte sich heute keiner auf die Handlung des Filmes konzentrieren.
Der Landgerichtsdirektor starrte abwesend auf den Bildschirm und machte sich Vorwürfe, daß er durch sein Verhalten diese „Affäre Wagener“ heraufbeschworen hatte. Toni war in Sorge wegen Gabys plötzlichen Verschwindens, er hatte sich einiges von dieser Nacht erhofft und fürchtete nun, Gaby könne womöglich überhaupt nicht mehr zurückkommen. Was aber Toni befürchtete, gerade das hoffte Sabine. Je länger sie über die Mitteilung ihrer Mutter nachdachte, desto überzeugter war sie, daß Gaby diese Ausrede benutzt hatte, um sich möglichst unauffällig aus diesem Hause zu verdrücken.
V
Etwa zur gleichen Zeit griff Kriminalassistent Walther Scheurich nach dem Telefon, und als sich Sabine meldete, sagte er:
„Schade, Bine, ich komme einfach nicht weg. Auf unseren Aufruf im Rundfunk melden sich pausenlos Leute, der Chef sitzt in Filzpantoffeln zu Hause vor seinem Kaminfeuer und vertraut auf meine Ausdauer. Ich mag die Leute nicht vergrämen und nach Hause schicken, vielleicht ist noch was Brauchbares dabei. Sag mal, was ist eigentlich los mit dir — du bist so — so kratzbürstig, ich kann doch wirklich nichts dafür, daß ich nicht kommen kann. Oder ist draußen was los? Stimmt etwas nicht?“
Gar nichts stimmt, hätte Sabine am liebsten gesagt. Aber sie hatte unmittelbar vor dem Essen mit ihrem Vater gesprochen und hielt es nun für besser, ihrem Verlobten von dem merkwürdigen und unerbetenen Besuch nichts zu sagen. Sie hoffte immer noch, Gaby werde nicht mehr auftauchen.
„Alles in Ordnung, Walther“, sagte sie. „Vielleicht geht es morgen? Ich habe das Gefühl, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Übrigens...“
Sie brach ab, fast hätte sie den Ozelotmantel erwähnt.
„Was ist übrigens?“ hörte sie Walther fragen.
„Übrigens liebe ich dich. Bis morgen also, ja?“
„Hoffentlich“,
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