Der Teufel trägt Prada
Kinn auf die Brust fiel. Erst ihre Stimme rief mich zurück ins Hier und Jetzt.
»Aan-dreaa! Ich habe keine Zeit für diesen Mumpitz«, wisperte sie vernehmlich genug, dass ein paar Klapperschnepfen am Tisch nebenan zu uns hersahen. »Man hat mich von dieser Preisverleihung weder unterrichtet noch entsprechend darauf vorbereitet. Ich gehe.« Damit kehrte sie mir den Rücken zu und steuerte Richtung Ausgang.
Ich stolperte hinterher. Sie an der Schulter zurückzureißen, verkniff ich mir allerdings wohlweislich. »Miranda? Miranda?« Sie nahm mich einfach nicht zur Kenntnis. »Miranda? Wer soll denn dann im Namen von Runway den Preis entgegennehmen?«, flüsterte ich so diskret wie möglich, ohne ganz unter die Hörgrenze abzusinken.
Sie fuhr herum und nahm mich direkt aufs Korn. »Was geht mich das an? Meinethalben erledigen Sie das.« Und ohne ein weiteres Wort war sie verschwunden.
O-mein-Gott. Das durfte einfach nicht wahr sein. Gleich würde ich in meinem eigenen, unspektakulären, billigen Bettzeug
aufwachen und zu der Erkenntnis gelangen, dass der ganze Tag, ach was, das ganze Jahr, nichts weiter als ein Horrortraum der Sonderklasse gewesen war. Die Frau erwartete doch nicht im Ernst, dass ich – die Junior assistentin – mich die Stufen hochschleppte und einen Preis für die beste Modereportage entgegennahm? Hektisch hielt ich Ausschau, ob vielleicht noch jemand von Runway zugegen war. Leider nein. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und überlegte: Sollte ich Emily oder Briget zu Rate ziehen? Oder ganz einfach ebenfalls das Weite suchen, nachdem Miranda so offensichtlich nichts an dieser ehrenvollen Verleihung gelegen war. Eben hatte ich auf dem Handy die Büronummer von Briget eingetippt (vielleicht schaffte sie es ja noch rechtzeitig, den Scheißpreis selbst in Empfang zu nehmen), da hörte ich von der Bühne: »…verneigen wir uns vor der amerikanischen Redaktion von Runway in Hochachtung für ihre treffenden, unterhaltsamen und stets informativen Modereportagen. Ein herzliches Willkommen der weltberühmten Herausgeberin, einer lebenden Ikone der Modewelt, Ms. Miranda Priestly!«
Der aufbrandende Applaus ließ meinen Herzschlag stocken. Mir blieb weder Zeit nachzudenken noch Briget, Miranda oder, am nahe liegendsten, mich selbst (weil ich Dämlack diesen gottverfluchten Job überhaupt angenommen hatte) zu verwünschen. Links-rechts-links-rechts erklommen meine Beine ohne eigenes Zutun und irgendwelche Zwischenfälle die drei Stufen bis hinauf zum Podium. Ich befand mich im akuten Schockzustand – sonst wäre mir sicherlich aufgefallen, dass der enthusiastische Beifall zu geisterhaftem Schweigen verstummte, weil kein Mensch wusste, wer zum Henker ich eigentlich war. Aber irgendwie hatte mich eine höhere Macht beim Wickel, die mich zwang, lächelnden Angesichts die Plakette aus den Händen des verkniffen dreinblickenden Vorsitzenden entgegenzunehmen und sie zittrig vor mir auf dem Rednerpult abzulegen. Erst als ich aufsah und hunderte neugieriger, bohrender, verwirrter Blicke
auf mich gerichtet sah, wusste ich mit Bestimmtheit, dass mein letztes Stündlein geschlagen hatte.
Die Stille währte nach meinem Dafürhalten vielleicht zehn, höchstens fünfzehn Sekunden, aber sie war so überwältigend, so allumfassend, dass ich mich ernsthaft fragte, ob ich nicht vielleicht doch schon tot war. Kein Sterbenswörtchen war zu hören, kein Silberbesteck kratzte verschämt über einen Teller, kein Glas stieß klingend ans andere, und keiner der Anwesenden erkundigte sich auch nur im Flüsterton, wer denn da für Miranda Priestly einsprang. Sie saßen bloß da und starrten mich an, bis ich endlich irgendetwas sagen musste. Von der erst vor einer Stunde niedergeschriebenen Rede war mir kein Wort mehr in Erinnerung: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
»Hallo«, setzte ich an; meine Stimme hallte mir in den Ohren. Ob es am Mikrofon lag oder daran, dass mir das Herz bis zum Hals schlug – egal; jedenfalls hatte ich sie nicht im mindesten unter Kontrolle. »Mein Name ist Andrea Sachs, und ich bin Mir- äh, ich arbeite für Runway . Leider Gottes ist Miranda, äh, Ms. Priestly, augenblicklich verhindert, aber ich bin gerne bereit, den Preis in ihrem Namen – und natürlich im Namen aller Mitarbeiter von Runway – entgegenzunehmen. Ich danke – äh« – mir wollte weder der Name der Organisation noch ihres Präsidenten einfallen – »Ihnen allen von Herzen für diese, äh, diese außerordentliche Ehre.
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