Der Teufel trägt Prada
auf die Unterstützung durch die Gemeinde angewiesen war. Da die Mutter bei Miriams Geburt gestorben war, wurden die Kinder von ihrer Großmutter mütterlicherseits großgezogen. Insgesamt waren es elf Geschwister. Die meisten folgten dem Beispiel des Vaters, schlugen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und widmeten sich dem Studium frommer Texte. Einige schafften es bis auf die Uni. Sie studierten, heirateten jung und gründeten ihre eigenen Großfamilien. Miriam war die einzige, die aus der Familientradition ausscherte.
Miriam sparte das Geld, das ihr die älteren Geschwister hin und wieder zusteckten, und brach drei Monate vor dem Abitur die Schule ab, um bei einem aufstrebenden jungen Designer als Assistentin anzufangen. Nach wenigen Jahren hatte sie sich zum
Darling der Londoner Modeszene gemausert. Abends paukte sie Französisch, bekam bei der französischen Modezeitschrift Chic eine Stelle als Redaktionsassistentin und zog nach Paris. Mit ihrer Familie hatte sie zu dieser Zeit kaum noch etwas zu tun. Die Lebensverhältnisse waren einfach zu unterschiedlich. Ihr Vater und ihre Geschwister hatten kein Verständnis für ihre Ziele, und sie schämte sich ihrer biederen, frommen Herkunft. Die endgültige Abnabelung von der Familie kam kurz nach dem Umzug nach Paris, als aus der 24-jährigen Miriam Princhek Miranda Priestly wurde. Mit ihrem alten Namen legte sie auch ihren derben Cockney-Akzent ab und trainierte sich eine kultivierte, gebildete Aussprache an. Mit Ende 20 hatte Miranda die Verwandlung vom jüdischen Arbeiterkind zur Society-Lady vollendet. Ihr Aufstieg in der Welt der Modezeitschriften war nicht mehr zu stoppen.
Zehn Jahre lenkte sie die Geschicke der französischen Runway , bevor sie von Elias-Clark auf den Posten der Herausgeberin der amerikanischen Ausgabe berufen wurde – die Erfüllung eines Lebenstraums. Sie zog mit ihren beiden Töchtern und ihrem damaligen Ehemann, einem Rockstar, der in Amerika Fuß fassen wollte, in eine Penthouse-Wohnung in der Fifth Avenue. Für Runway begann eine neue Ära: die Priestly-Jahre, von denen nun schon fast sechs ins Land gegangen waren.
Ich hatte mehr Glück als Verstand: Mir blieb fast ein ganzer Monat, bevor Miranda wieder im Büro zurückerwartet wurde. Wie immer um diese Jahreszeit war sie für vier Wochen verreist. Normalerweise hielt sie sich eine Zeit lang in ihrer Londoner Wohnung auf, aber in diesem Jahr hatte sie Mann und Töchter für zwei Wochen in die Dominikanische Republik geschleift, in die Villa von Oscar de la Renta. Anschließend wollte sie Weihnachten und Neujahr im Pariser Ritz feiern. Dass sie nicht in New York war, bedeutete allerdings nicht, dass sie nicht arbeitete. Sie war zwar technisch »im Urlaub«, praktisch aber jederzeit erreichbar, und das Gleiche hatte natürlich auch für ihre
Mitarbeiter zu gelten. Um Miranda mit meinen unvermeidlichen Anfängerfehlern zu verschonen, sollte ich in Abwesenheit ihrer Majestät angelernt und in meine Aufgaben eingewiesen werden. Nachdem ich mich in Eduardos Register eingetragen hatte, ging ich durch das Drehkreuz und betrat um Punkt sieben die heiligen Hallen. »Kopf hoch!«, rief Eduardo mir noch nach, bevor sich die Fahrstuhltür hinter mir schloss.
Emily, die in ihrem zerknitterten weißen T-Shirt und der hypertrendigen Cargohose einen alles andere als eleganten Eindruck machte, erwartete mich am Empfang. Einen Becher Starbucks-Kaffee in der Hand, die Stöckelschuhe auf Glastischchen, blätterte sie in der druckfrischen Runway -Ausgabe. Durch den T-Shirt-Stoff zeichnete sich deutlich ein schwarzer Spitzen-BH ab. Ihr Lippenstift war ein wenig verschmiert, und das wellige rote Haar hing ihr zerstrubbelt bis auf die Schultern. Alles in allem sah sie so aus, als ob sie die letzten 72 Stunden im Bett verbracht hatte.
»Tag«, murmelte sie und musterte mich prüfend. »Schöne Stiefel.«
Mein Herz klopfte. Ein Kompliment! Ob sie es ernst meinte? Oder war es Sarkasmus? Ihr Ton verriet nichts. Meine Füße taten weh, meine Zehen fühlten sich an wie abgeschnürt, aber wer schön sein und von einer Runway -Mitarbeiterin Komplimente einheimsen wollte, der musste vermutlich leiden.
Emily schwang die Beine vom Tisch und seufzte dramatisch. »Na, dann wollen wir mal. Du hast wirklich Glück, dass sie zurzeit nicht da ist«, sagte sie. »Was natürlich nicht heißen soll, dass sie keine tolle Frau ist«, fügte sie blitzschnell hinzu. Das war meine erste Begegnung mit dem klassischen Runway
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