Der Teufel von Garmisch
Sie war
eine kräftig gebaute Person von Anfang dreißig, die immer irgendwie grau
wirkte, obwohl sie rötliche Haare hatte.
»Vielen Dank, aber ich komm klar.« Er hatte selten mit ihr zu tun,
sie war in der Buchhaltung, er in der Entwicklung. Immerhin war sie freundlich
zu ihm. Etwas, das er bei anderen Kollegen eher selten erlebte. »Wirklich nett,
dass du an mich denkst«, sagte er.
»Du bist ja sonst eigentlich nie krank«, sagte Carina.
»Ja … Woher weißt du das?«
»Ich mach doch die Gehaltsabrechnung.« Es klang, als fühle sie sich
ertappt.
»Danke jedenfalls … Morgen bin ich wieder da«, sagte er.
»Schön. Vielleicht sehen wir uns ja in der Cafeteria.«
»Äh … ja«, sagte Sebastian nur.
»Warst du schon beim Arzt?«
»Ach, das wird schon wieder.«
»Ja. Aber du musst ein Attest einreichen.«
»Was? Ich dachte, drei Tage kann man so …«
»Nein, nicht bei uns. Das hat der Dr. Lerchl doch schon vor
zwei Jahren in die Verträge schreiben lassen.«
Sebastian stöhnte auf. Jetzt musste er sich auch noch irgendeine
Lüge für den Arzt ausdenken.
»Ich glaub, da nehm ich lieber Urlaub«, murmelte er.
»Ähm …« Sie machte eine kleine Pause, so als stelle sie sicher,
allein zu sein. »Das können wir irgendwie regeln«, flüsterte sie dann. »Ich
mach das schon.«
»Danke.« Er war tatsächlich erleichtert. Nicht wegen des
Urlaubstages, den er so sparte, sondern einfach, weil es eine Sache weniger
war, um die er sich Gedanken machen musste.
»Ich freu mich ja, wenn ich dir helfen kann«, sagte Carina, und es
klang, als ob sie es ehrlich meinte.
»Bis morgen«, sagte er und unterbrach die Verbindung.
Carina, dachte er. Wie war noch mal der Nachname? Ockels? Er sah
unter »Angenommene Anrufe« nach. Öckler, las er. Carina Öckler. Er versuchte,
sich den Nachnamen zu merken.
Bisher war ihm an ihr nur aufgefallen, dass sie immer mit dem Roller
kam. Aus Murnau, wenn er sich nicht irrte.
Er legte das Handy auf den Nachttisch und setzte sich auf den
Bettrand. Es war ihm klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Mörder
sich wieder melden würde.
Er hatte kein Auge zugetan, seit er in seinem Auto vor Sannes Haus
aus der Ohnmacht erwacht war. Der Weg zurück in ihr Haus und ihr Schlafzimmer
war das Härteste gewesen, das er je durchgemacht hatte.
Aber er hatte sich dazu gezwungen. Vielleicht wäre er tatsächlich
auch ohne Brille irgendwie wieder nach Hause gekommen. Aber er hatte sie dort
nicht liegen lassen können. So viele Menschen mit sechs Dioptrien auf beiden
Augen gab es nicht. Sie würden den Besitzer der Brille aufspüren, über kurz
oder lang. Er hatte sie dort wegholen müssen, und der Mörder wusste das.
Er spielte mit ihm.
Auch mit Sanne hatte er gespielt. Er hatte ihr Blut in die Haare
geschmiert und sie zu zwei kleinen Teufelshörnern geformt. Sebastian hatte das
erst erkennen können, als er endlich seine Brille gesäubert hatte, die
ebenfalls voll getrocknetem Blut gewesen war. Er war damit ins Bad gewankt und
hatte die schwärzlichen Flecken von den Gläsern und dem Metall gewaschen. Dabei
hatten sein Rotz und seine Tränen sich mit dem Wasser aus dem Hahn vermischt
und waren auf das Gestell getropft. Schließlich war er vor dem Waschbecken auf
die Knie gesunken. Er hatte eine Ewigkeit dort gekauert, bis er endlich genug
Kraft gesammelt hatte, um das Schlafzimmer noch einmal zu betreten und einen
letzten Blick auf Sanne zu werfen.
Tatsächlich entdeckte er einen dritten Einschuss, der dort vorher
nicht gewesen war, mitten in ihrer Stirn.
Der Mörder hatte gesagt, seine Fingerabdrücke seien auf der Waffe.
Er musste ihm die Pistole in die Hand gedrückt und dann gefeuert haben.
Der Mörder konnte mit ihm machen, was er wollte, und Sebastian
fürchtete, dass er noch viel mehr wollen würde. Er schluckte bittere Magensäure
hinunter, die ihm in die Kehle geschossen war.
Das Handy auf seinem Nachttisch läutete.
»Unbekannter Teilnehmer« stand auf dem Display.
Das Spiel ging weiter.
* * *
»Jo mei, Herr Kommissar –«
»Hauptkommissar«, sagte Schafmann.
»Hauptkommissar«, korrigierte sich der Mann, »dann hat er so
gschaut, hinter dem armen Zamperl her.«
»Wie gschaut? Was meinen Sie?«
»Na, so eben …« Der Mann in dem Janker zog
eine Grimasse, als sei ihm etwas ins Auge geflogen. »So als wollt er eam
derschlogn.«
» So schauen Sie, wenn Sie jemanden
erschlagen wollen?«, fragte Schafmann.
»Naaa! I doch ned. Verstehst mi ned? Der
Weitere Kostenlose Bücher