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Das verlassene Boot am Strand

Das verlassene Boot am Strand

Titel: Das verlassene Boot am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott O'Dell
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    Nach starken Stürmen, die von den Inseln herüberwehen, ist unsere Küste mit kleinen Muscheln bedeckt. Sie sind nicht größer als Fingerspitzen, aber es ist eine so dicke Schicht auf dem Strand, daß man kaum gehen kann. Meilenweit sieht man nichts anderes als diese winzigen blauen Muscheln. Deshalb nennen wir unseren Strand den blauen Strand.
    Für gewöhnlich kommen die großen Stürme im Winter, aber der letzte kam im Juni, und hinterher lagen die Muscheln knöchelhoch. Mein Bruder und ich schaufelten sie in Körbe und brachten sie zur Missionsstation. Dort wuschen wir sie und kochten sie mit ein wenig Süßwasser. Diese kleinen blauen Muscheln gaben eine sehr gute Suppe, und eine Schale Suppe mit einer Handvoll Tortillas ergab eine Mahlzeit.
    Der Juni-Sturm hatte die ganze Nacht getobt, und am nächsten Morgen gingen wir sehr früh an den Strand. Der Sturm hatte so vieles angeschwemmt.
    Wir haben beim Suchen von Strandgut eine feste Regel. Sie hieß: El que ve primero, le pertenece. Wer es zuerst sieht, dem gehört es. Wenn Mando zum Beispiel irgend etwas als erster bemerkte und es haben wollte, dann behielt er es, und wenn ich etwas als erste entdeckte, das mir gefiel, dann war es mein Eigentum. Aber wenn Mando ein Fäßchen voll Sirup fand und ich eine Angelleine mit einem Haken daran, dann tauschten wir. Wenn wir beide gleichzeitig etwas sahen und »Das gehört mir!« riefen, dann losten wir. Wer das längere Stöckchen zog, hatte gewonnen. Wir hatten genau festgelegte Regeln, aber manchmal zankten wir uns trotzdem wegen Dingen, die wir beide gern gehabt hätten. Dann sprachen wir den ganzen Tag nicht miteinander.
    Als wir an diesem Morgen durch die Muscheln wateten, fanden wir viel... eine Schlaguhr, ein Stück Segel und einen Hobel... da sah ich plötzlich etwas Graues am Rand der Brandung treiben.
    »Mein!« rief ich und rannte darauf zu.
    »Mein! Mein!« rief Mando und rannte ebenfalls.
    Es war ein Ruderboot, ein Beiboot, das ein großes Schiff verloren haben mußte. Es war ans Ufer getrieben worden.
    Wir erreichten das Boot gleichzeitig. Mando rief noch immer: »Mein! Mein!« Er war so aufgeregt, daß er nur dastand und das Boot anstarrte und schrie.
    Ich trat ruhig näher und legte die Hand auf den Bug.
    »Ich habe es zuerst gesehen, also gehört es mir. Das sind die Spielregeln, Mando.«
    Er hatte Tränen in den Augen.
    »Aber ich ernenne dich zum Kapitän. Ich bin der Besitzer, und du bist der Kapitän, der das Boot steuert«, sagte ich.
    Das schien ihn zu trösten. Er rieb sich die Augen und versuchte zu lächeln.
    Auf dem Bug des Bootes stand ein Name. Ich konnte nur das erste Wort lesen, Boston. Dann kam noch ein B und dann eine leere Stelle, an der die Farbe abgeblättert war, und dann ein Y . Zwei Worte.
    Das Boot war an beiden Enden gleich hoch und sechs Schritt lang und etwa zwei Schritt breit. Es hatte drei Sitzbänke und ursprünglich vier Ruder, aber nur ein Ruder und eine Harpune lagen im Boot. Es war ein sehr robustes, schwarz gestrichenes Boot.
    »Was können wir damit anfangen?« fragte ich Mando, der sich noch immer bemühte, über seine Enttäuschung hinwegzukommen. »Was meinst du, Kapitän?«
    Mando ging um das Boot herum, hob das Ruder auf und legte es wieder hinein. »Wir können es nicht mit zur Mission nehmen. Es würde gleich in der ersten Nacht gestohlen.«
    »Und wenn wir unseren Namen darauf schreiben und es kieloben an den Strand legen?« fragte ich.
    »Sie würden es sogar aus der Kapelle stehlen«, sagte Mando.
    Er rieb sich die Nase, was ihm beim Nachdenken immer half. Ich wartete, denn mir fiel nichts ein.
    »Weißt du was? Wir verstecken es«, sagte er endlich und ging wieder um das Boot herum.
    »Wo?«
    »In der San-Felipe-Lagune.«
    »Und wie kriegen wir das Boot dahin?«
    »Wir waten durch das seichte Wasser am Strand entlang und schieben es vor uns her. « Mando packte das Heck. »Und zwar sofort. Sofort. In einer Stunde sind all die anderen hier, um Muscheln zu suchen.«
    Wir bekamen das Boot mit der ersten großen Welle flott; mein Bruder schob am Heck, und ich steuerte am Bug, und so kamen wir Schritt um Schritt zum Eingang der San-Felipe-Lagune. Die Ebbe setzte ein, aber das Wasser stand noch hoch genug, um das Boot ans Ufer zu schieben.
    Hierher kam nie jemand, denn am anderen Ende der Lagune gab es eine Höhle, in der es spukte. Bei Einbruch der Dämmerung flogen Fledermausschwärme aus der Höhle, und vor Tagesanbruch kehrten sie wieder zurück. Die

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