Der Teufel von Garmisch
sagte mir, du bist
krank.«
Die Stimme war wieder elektronisch verändert. Sie klang unnatürlich
hoch.
»Woher wissen Sie, wo ich arbeite?«
»Aber Sebastian! Du hast Visitenkarten in deiner Brieftasche. GAP -Data, ›Member of Development Department‹. Klingt
beeindruckender, als es ist, nehme ich an.«
Sebastian antwortete nicht. Die Stimme hatte recht. Fachlich würden
sie nie auf ihn verzichten können. Aber vorzeigen würden sie ihn auch nie. Er
war der Nerd , der die Fleißarbeit machte. Und
eigentlich war es ihm auch egal, ob »Member« oder »Teamleader« oder gar
»Operation Manager« auf seiner Karte stand. Für eine echte Karriere war er
einfach nicht geboren.
»Was entwickelt ihr denn?«, fragte die Stimme.
»Software.«
»Software wofür?«
»Für Bewehrungstechnik.«
»Was soll denn das sein?«
»Baustahl. Für Betonbau. Software für Planung, Einkauf, Herstellung,
also Zurechtbiegen, Lagerhaltung.« Sebastian atmete heftig aus. Er telefonierte
mit einem Mörder, mit Sannes Mörder, und plauderte mit ihm über seinen Job.
»Und für so was gibt es einen Markt?«, fragte die Stimme.
»Wir haben ein paar hundert Kunden, weltweit. Was wollen Sie von
mir? Über meine Arbeit reden?«
»Oh, ich weiß noch nicht genau, was ich von dir will. Wir werden
sehen. Zunächst habe ich noch eine Frage an dich: Wieso nennen sie dich im Büro
›Milli‹?«
»Woher wissen Sie das?«
»Sebastian, gewöhn dich bitte daran, dass ich eine Menge über dich
weiß. Aber bitte: Du hast dich selber so bezeichnet, als du so unfassbar
dämlich warst und Susanne Berghofers Haus betreten hast. Und eben am Telefon
hat dein Kollege in den Raum gefragt, ob jemand weiß, wo der ›Milli‹ steckt.
Was bedeutet das also?«
»Es bedeutet Millionär«, antwortete Sebastian leise. »Ich war mal
bei Günther Jauch.«
»Oh. Und? Du hast die Million geholt.«
»Nein.«
»Wie viel denn?«
»Fünfhundert Euro«, murmelte Sebastian.
»Was? Wie kann man so doof sein?« Die Stimme lachte.
»Ich … hatte Lampenfieber«, sagte Sebastian.
»Aber es gibt doch Joker!« Die Stimme war hörbar amüsiert.
»Die hatte ich bei viertausend schon verbraucht.«
»Und was war die letzte Frage?«
»Ist das wirklich wichtig?«, fragte Sebastian.
»Sebastian, alles, was ich dich frage, ist wichtig. Weil ich dich frage. Mach dir das klar. Denn du solltest mich
nicht verärgern. Auch nicht ein bisschen.«
Sebastian schwieg.
»Also? Was war die Frage?«
»Wie viel Chromosomenpaare der Mensch hat. Drei, dreizehn,
dreiundzwanzig oder dreiunddreißig.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Dreizehn.«
»Das darf ja wohl nicht wahr sein! In Biologie nicht aufgepasst?«
Sebastian antwortete nicht. Der Auftritt war die größte Demütigung
in seinem an Demütigungen nicht eben armen Leben gewesen. Er hatte eine gute
Allgemeinbildung, und natürlich hätte er im wahren Leben die Frage beantworten
können. Ebenso wie die nach dem südamerikanischen Land mit der längsten Küste,
für die er allein zwei Joker gebraucht hatte. Und sogar die nach dem einzigen
Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, der kein Weltmeister war – obwohl
Fußball nicht zu seinen Fachgebieten zählte. Im Publikum hatten zweiundachtzig
Prozent die Lösung gewusst.
»Das war wohl die eine Chance in deinem Leben«, sagte die Stimme.
»Scheint so«, sagte Sebastian.
»Und du hast sie vertan.«
»Ja.« Er hatte sie vertan. Er hatte auf dem Stuhl gesessen, und sein
Gehirn hatte einfach nicht mehr gearbeitet. Das Einzige, zu dem er noch in der
Lage gewesen war, war Schwitzen – selbst zum Atmen hatte er sich zwingen
müssen. Als alles vorbei war, hatte er keinen trockenen Faden mehr am Leib
gehabt, und sogar Günther Jauch schien Mühe gehabt zu haben, Mitleid mit ihm zu
empfinden.
»Eines darf man eben nicht vergessen«, sagte die Stimme. »Das Glück
ist mit den Tüchtigen.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Es war die eine Chance in seinem Leben gewesen. Und so, wie es jetzt
aussah, würde es nie wieder eine für ihn geben.
* * *
Das Wort Schicksal klingt für die meisten
Menschen bedrohlich, und das zu Recht. Sie kennen es nicht, es ist fremd, es
ist nicht zu steuern – für die meisten Menschen. Aber für die anderen, die, die
eben nicht die meisten sind, die nur wenige, sehr wenige sind – für diese
Menschen steht das Wort Schicksal gerade für das Gegenteil. Es steht für Macht.
* * *
»Und?«, fragte Schwemmer. »Irgendwelche
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