Der Teufel von Mailand
Das verwinkelte Dach des Gamander war an dieser Stelle tief hinuntergezogen. Die Krone einer Birke, deren Äste sie beinahe berühren konnte, verdeckte den größten Teil der Aussicht und gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.
Der Raum war klein, vielleicht drei auf vier Meter. Er war möbliert mit einer Waschkommode, einem Schrank mit einem ovalen Spiegel und einer schmalen Bettstatt mit einem Nachttisch. Allen vier Möbelstücken sah man an, daß sie aus den ursprünglichen Mobiliarbeständen des Hotels stammten. Man hatte sie in die Ablaugerei gebracht, um ihnen die Muffigkeit zu nehmen. Sonia war sich nicht sicher, ob das gelungen war.
Beim Fenster stand ein Schreibtisch aus den sechziger Jahren, daneben ein olivgrüner Polstersessel, ebenfalls aus dem Fundus des Hauses. Die modernsten Einrichtungsgegenstände waren ein billiger Hotelfernseher auf einer schwenkbaren Konsole, die an der Täfelung der nicht abgeschrägten Wand angebracht war, und ein Telefon.
Das Badezimmer versöhnte sie. Es war riesig und schwarz-weiß gefliest, besaß ein altmodisches Waschbecken, ein dazu passendes WC und eine freistehende Badewanne mit Löwenfüßen. In der Dachschräge war ein Mansardenfenster eingelassen, durch dessen Milchglasscheiben das graue Licht der frühen Dämmerung drang. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein Etagenbad gewesen, von dem man später diesen kleinen Schlafraum abgetrennt hatte.
Sonia setzte sich aufs Bett. Durch das offene Fenster drang das Rieseln des Regens auf das Birkenlaub. Am Baum vorbei sah sie ein Stück der Straße und dahinter die blaugrauen Schlieren, die den Hang verhüllten. Sie schloß das Fenster und begann, Pavarottis Käfig auszupacken.
Mitten in der Nacht erwachte sie mit Herzklopfen. Ein Geräusch mußte sie erschreckt haben. Vielleicht die Kirchenglocke, die in der Ferne jede Viertelstunde schlug. Oder vielleicht jemand, der nicht schlafen konnte. In diesen alten Häusern hörte man jeden Schritt. Sie hielt den Atem an und horchte.
Die Gestalt auf dem Polstersessel waren ihre Kleider, das wußte sie vom ersten Mal, als sie aus dem Schlaf geschreckt war. Danach hatte sie im Bad Licht gemacht und die Tür einen Spaltweit offengelassen. Der schmale Lichtstreifen fiel längs durchs Zimmer und nahm dem Raum das Bedrohliche fremder Räume in der Nacht.
Sie hätte mehr trinken sollen, dann würde sie jetzt besser schlafen. Barbara Peters hatte gesagt: »Ich nehme ein Wasser, aber wenn Sie zum Essen ein Glas Wein mögen, bin ich nicht schockiert.« Sonia hatte darauf ein Glas Veltliner bestellt und war bei diesem einen geblieben. Die Qualität des Weines hatte ihr diese Entscheidung erleichtert.
Alle Angestellten hatten im Speisesaal gegessen, als Übung für das Servierpersonal. Zuvor hatte Barbara Peters ihr das Haus gezeigt. Sie hatte es mit Hilfe einer Innenarchitektin zu seiner Substanz zurückgeführt, wie sie es nannte. Sie machten anhand der ursprünglichen Pläne und Fotos aus dem Eröffnungsjahr die meisten Versuche der Vorbesitzer, das Haus zu modernisieren, rückgängig, brachten aber die Infrastruktur auf den neuesten Stand. Der Versuch, dem alten Kasten eine jugendliche Ausstrahlung zu verleihen, war nicht ganz gelungen. Das Düstere und Muffige, das man zum Verschwinden bringen wollte, wurde da und dort eher noch betont. Das Problem war nicht die Einrichtung. Das Problem war die Architektur.
Das Gamander besaß achtundzwanzig Zimmer, davon sechs Junior-Suiten, drei Suiten und eine Turmsuite auf zwei Ebenen. Alle waren mit ausgesuchten Stücken aus der Epoche liebevoll und sparsam eingerichtet. Nur ein kleiner Teil des Mobiliars stammte aus den vielen verwinkelten Dachböden des Hauses.
Der Wellness-Bereich, dieser in die Seite des historistischen Monstrums getriebene Keil aus Glas, Granit, Stahl und Wasser, verzichtete auf das übliche Wohlfühl-Design und vermittelte mit minimalistischer Strenge meditative Ruhe. Er besaß zwei Pools, einen zum Schwimmen und ein siebenunddreißig Grad warmes mit Natursole angereichertes Thermalbad. Es ragte um ein Drittel ins Freie hinaus und ließ von Spots angestrahlte Dampfschwaden in die kühle Regennacht steigen. Vier geometrische Wasserfälle sorgten für den suggestiven Geräuschpegel.
Eine Treppe neben dem Thermalbad führte in ein Untergeschoß. Dort befanden sich die Räume für den römisch-irischen Zyklus: Warmluftbad, Heißluftbad, Duschen, Dampfbäder, Sprudelbäder, Kaltwasserbäder, Massage- und Behandlungszellen,
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