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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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und seinen flaumigen Bauch nach unten gleiten. Behutsam, aber nicht wie eine Physiotherapeutin.
wann kommst du an
weiß noch nicht
aber du kommst
weiß noch nicht
was ist passiert
weiß noch nicht
ach so
    Die Wetterprognose war schlecht, aber das war sie in den letzten Tagen immer gewesen. Gian Sprecher suchte den Himmel mit dem Feldstecher ab. Wenn es nur annähernd nach drei trockenen Tagen aussah, würde er heute mähen.
    Die Nebelschicht sah an einigen Stellen durchlässig aus, und beim Piz Badaint hatte sich eine blaue Lücke aufgetan, in der die sonnenbeschienene Alp Verd leuchtete wie ein verzauberter Garten. Aber im Osten stauten sich noch immer schwarze Regenwolken.
    Sprecher entschied sich gegen das Mähen. Einen Teil der gewonnenen Zeit nutzte er dazu, zu beobachten, was sich im Gamander so früh am Morgen tat.
    Fast jedes der Sgraffiti-verzierten Häuser in der engen Seitenstraße besaß einen Erker. Und in jedem vermutete Sonia jemanden, der sie beobachtete, wie sie die Fassaden nach Hausnamen absuchte. In der Chasa Cunigl wohne er, hatte man ihr im Büro gesagt. Die sei irgendwo dort oben. Mehr wisse man nicht.
    Sonia war an diesem Morgen pünktlich am Arbeitsplatz erschienen. Manuel hatte sie ohne Überraschung begrüßt, als hätte er nichts anderes erwartet. Er hatte ihren Gesinnungswandel nicht kommentiert und nur geschäftsmäßig gesagt: »Um neun haben sich die neuen Gäste angemeldet. Irisch-römischer Zyklus, Bürstenmassage, volles Programm.«
    Während sie die urbanen Fitness-Studio-Körper mit Naturhaarbürsten massierte, waren immer wieder Bilder der letzten Nacht aufgetaucht. Das heißt: Erst waren sie aufgetaucht, dann hatte sie eines nach dem andern abgerufen. Und dabei war ihr immer klarer geworden, daß sie noch ein wenig bleiben wollte.
    Die rosaroten Häuser in diesem Teil des Dorfes sahen aus wie aus Fleischkäse geschnitzt. Jede der gegen außen abgeschrägten Fensteröffnungen war verschieden, die freihändig gezogenen Sgraffiti-Rahmen, die sie umgaben, verstärkten diesen Eindruck. Von den Blumenkästen auf den Simsen führten Wasserläufe den Verputz herunter. Einige hatten sich schon moosgrün verfärbt.
    Auf der mitgenommenen Fassade eines hautfarbenen dreistöckigen Gebäudes kauerte ein Sgraffiti-Kaninchen in einem verzogenen Oval. Darunter stand »Chasa Cunigl«. Sonia ging zum mit Tuffstein gerahmten Portal und suchte vergeblich nach einer Klingel. Sie klopfte an die Tür. Das von den Jahrhunderten polierte Holz schluckte das Geräusch. Sonia trat ein paar Schritte zurück und schaute zu den Fenstern hinauf.
    »Zu wem wollen Sie?«
    Sie zuckte zusammen. Sie hatte die kleine alte Frau nicht kommen hören, die hinter ihr stand. Schwarz gekleidet, wie früher alle ewigen Witwen in ländlichen Gegenden. Fehlt nur der Kropf, dachte Sonia.
    »Zu Herrn Casutt. Aber es scheint niemand zu Hause zu sein.«
    »Doch, doch, da ist schon jemand zu Hause, kommen Sie.« Die Frau drückte auf die schmiedeeiserne Klinke und stieß die Tür auf.
    Sie betraten den großen, kühlen und dunklen Flur, den sie hier oben Pierten nannten. Ein paar Türen führten in Wohnräume, Schuppen und Ställe und eine Treppe in die oberen Stockwerke. »Die oberste Wohnung. Einfach klopfen, bis er aufmacht. Das dauert manchmal eine Weile.«
    Neben der Tür im dritten Stock lag ein Ofenblech. Darauf stand ein Paar Wanderschuhe. Ihr Wildleder sah naß aus, und sie waren mit Zeitungspapier ausgestopft. Durch die Tür drang das Ticken einer alten Pendeluhr. Sie klopfte und wartete auf eine Stimme oder Schritte oder sonst eine Reaktion. Aber bis auf das gelassene Tick, Tack, Tick, Tack blieb es still.
    Sonia klopfte noch einmal.
    Tick, tack.
    Nach dem vierten Klopfen beschloß sie, den Rat der alten Frau nicht zu befolgen. Da hörte sie das Knarren einer Diele. Dann Schritte.
    »Wer ist da?« fragte Casutts Stimme.
    »Sonia Frey vom Gamander.«
    »Moment.«
    Nach ein paar Minuten ging die Tür auf, und Casutts versteinertes Grinsen erschien in der Öffnung.
    »Verzeihen Sie«, sagte Sonia, »Sie hatten geschlafen.«
    »Alte Gewohnheit eines Nachtportiers.« Er versicherte sich, daß sie allein war. Dann ließ er sie herein.
    Sie betrat eine kleine Küche. Ein mit schmutzigem Geschirr vollgestelltes Steingutspülbecken vor einem Gas-Durchlauferhitzer, eine elektrische Doppelkochplatte, ein mit gelblicher Hochglanzfarbe nachlässig angestrichener Geschirrschrank, ein kleiner, freistehender Einbaukühlschrank mit

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