Der Teufel von Mailand
einer Holzspanplatte, die als Ablagefläche diente. Sie war vollgestellt mit benutzten Pfannen und schmutzigem Besteck und Geschirr.
Er murmelte eine Entschuldigung für die Unordnung und ging voraus in das angrenzende Zimmer. Der Raum diente ihm als Wohn- und Schlafzimmer. Ein ungemachtes Bett, ein Ohrenfauteuil mit einer zerschlissenen Strickdecke, ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Kommode, ein Kleiderschrank, ein Fernseher. Die Holzdecke war so niedrig, daß man glauben konnte, sie sei schuld an Casutts gebückter Haltung. Durch ein kleines Fenster in der dicken Mauer sah man auf die fensterlose Rückseite eines Gebäudes unbestimmbaren Alters und einen Hof, auf dem Brennholz, leere Bierkästen, Paletten, Autoreifen und zwei ausgemusterte Viehanhänger gelagert waren.
Im Raum hing der säuerliche Geruch der Verwahrlosung. Casutt bot Sonia einen der beiden Stühle an und setzte sich ihr gegenüber. Auf dem Tisch lagen zerlesene Leute-Magazine. Daneben standen eine angefangene Flasche Veltliner, ein fast leerer Magenbitter und ein schmutziges Glas.
»Möchten Sie einen Kaffee?« fragte er.
»Nein, danke«, antwortete sie rasch.
An der Wand über dem Tisch hingen gerahmte Fotografien. Herr Casutt mit Jean-Paul Belmondo, Herr Casutt mit Curd Jürgens, Herr Casutt mit Romy Schneider, Herr Casutt mit Doris Day, Herr Casutt mit Cary Grant. Immer in der Uniform mit den gekreuzten Schlüsseln am Revers. »Das ist nur ein Teil der Fotos. Und nur ein Bruchteil der Prominenten, die ich getroffen habe.«
Bevor er mit der Aufzählung beginnen konnte, fragte Sonia: »Kommen Sie zurecht?«
»Vorläufig schon. Ich brauche ja nicht viel. Und der Lohn wird mir noch bis Ende Saison ausbezahlt. Geld spielt ja bei der keine Rolle. Und wie geht’s unten?«
Sonia behielt ihn genau im Auge, als sie sagte: »Irgend so ein Schwein hat meinen Wellensittich ertränkt.«
Er nickte nur, wie zur Bestätigung einer bekannten Tatsache. »Wenn ich noch dort arbeitete, wäre wieder ich es gewesen.«
Sonia blickte ihm in die Augen. »Waren Sie’s?«
Zum ersten Mal drückte sein starres Lächeln etwas Belustigung aus. »Das fragen Sie nicht im Ernst?«
Sonia wiederholte die Frage. Weder drohend noch herausfordernd, sondern verständnisvoll. Als könnte er ihr die Wahrheit sagen, und sie würden dann gemeinsam nach einer Lösung suchen.
»Ich habe nichts gegen Sie. Ich mag Sie. Weshalb sollte ich Ihren Wellensittich ertränken?«
»Es richtet sich nicht gegen mich. Es gehört zu einer ganzen Reihe von Aktionen, die alle auf Frau Peters zielen.«
Casutt schenkte sich etwas Wein ein und trank einen Schluck. »Was für Aktionen?«
»Der Anschlag auf den Ficus. Ihr Auftauchen mitten am Tag. Die Leuchtstäbe im Wasser. Die zwölf Glockenschläge im Morgengrauen.«
»Ach so. Klar. Das hängt natürlich alles miteinander zusammen«, stellte er sarkastisch fest.
Ganz langsam und mit langen Pausen nach jeder Zeile, damit er Zeit hatte, deren Bedeutung für die fünf Ereignisse zu begreifen, rezitierte sie die Zeichen.
Jedes Mal, wenn bei ihm der Groschen gefallen war, nickte Casutt. Am Schluß fragte er: »Woher haben Sie das?«
»Das sagt der Teufel von Mailand zur schönen Hirtin Ursina, damit sie ihm ihre Seele verkauft. Das kennen Sie doch? Eine Sage aus der Gegend.«
Casutt schüttelte den Kopf. »Als ich klein war, ging man hier oben nur im Winter zur Schule. Und auch das nur ein paar Jahre. Ich hatte nicht das Privileg, Sagen studieren zu dürfen.«
»Sagen werden einem von den Eltern und Großeltern erzählt.«
»Ich hatte nur eine Großmutter, und die war taubstumm. Und meine Eltern waren abends zu müde für Gutenachtgeschichten.« Er schenkte einen Fingerbreit Wein auf den Fingerbreit, der noch im Glas war, und trank ihn sofort. Das Glas, das er abstellte, sah aus, als hätte er nichts getrunken.
»Sind Sie deswegen gekommen? Um mich zu fragen, ob ich der Teufel von Mailand sei?« Das verzerrte Lächeln sah wieder aus wie die Grimasse eines tapfer ertragenen Schmerzes.
»Nein. Ich wollte auch wissen, wie es Ihnen geht.«
»Jetzt wissen Sie’s.« Er zeigte theatralisch auf den Raum, in dem sie saßen. »So geht’s mir. Einem, der sein ganzes Leben in Luxushäusern gearbeitet hat. Ein Zimmer mit Kochgelegenheit bei einer alten Tante und WC im Treppenhaus.«
»Weshalb bleiben Sie hier? Weshalb sehen Sie sich nicht nach einer neuen Stelle um?«
Casutt zeigte auf das Glas. »Deswegen.« Wieder füllte er es um soviel auf,
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