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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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tun, sich einschüchtern zu lassen. Das sind Machos. Man muß sie ignorieren, das trifft sie am härtesten.«
    Sonia war anderer Meinung. »Wenn man sie ignoriert, lassen sie nicht locker, bis man sie zur Kenntnis nimmt. Man muß sie ernst nehmen. Man muß ihnen die Stirn bieten.«
    Barbara Peters schüttelte entschlossen den Kopf. »Ich unternehme nichts. Ich lasse sie weiter ins Leere laufen. Aber wenn Sie eine Anzeige machen wollen, kann ich Sie nicht hindern. Schließlich war es Ihr Vogel.«
    »Ich werde es mir überlegen.«
    »Tun Sie das. Nehmen Sie sich frei. Erholen Sie sich vom Schock.« Barbara Peters beendete das Gespräch, indem sie aufstand. An der Treppe sagte sie: »Aber wenn Sie zur Polizei gehen, denken Sie daran: Das ganze Dorf steckt unter einer Decke.«
    Im Zimmer war es still. Das leise Klimpern, Rasseln und Klirren des im Käfig herumturnenden Pavarotti fehlte. Und auch das Zwitschern, Tschilpen und Glucksen seiner Selbstgespräche.
    Sonia nahm den leeren Käfig vom Haken, stopfte die Schachteln mit dem Futter, dem Einstreusand und den Hirsekolben in eine Plastiktüte und trug alles zum Lift.
    Sie fuhr ins Untergeschoß, ging durch den ehemaligen Skikeller zum Hinterausgang und weiter zu den hinter einer Sichtblende geparkten Müllcontainern. Sie öffnete einen und warf alles hinein.
    Auf dem Weg zurück zur Tür fühlte sie sich beobachtet. Sie blieb stehen und wandte sich um. Auf der Straße stand eine reglose Gestalt und schaute in ihre Richtung. Erst als er sich ertappt fühlte und weiterging, erkannte Sonia den hinkenden Bauern.
    Sie ging ins Zimmer zurück, duschte und legte sich ins Bett. Das Temesta hatte sie nicht nur gleichgültig gemacht, sondern auch ein bißchen müde.
    Sie spürte, daß sie dabei war aufzuwachen. Und sie wußte, daß da etwas war, weshalb sie weiterschlafen wollte. Weit weg fiel ein gleichmäßiger Regen auf das Birkenlaub. Sonia preßte die Lider zusammen und versuchte, in den Schlaf zurückzuschlüpfen.
    Aber dann war alles wieder da. Die Stille im Badezimmer. Pavarotti im Aquarium. Der Käfig im Container. Die Unruhe. Die Angst. Die Panik.
    Sonia setzte sich auf den Bettrand und sah sich im Zimmer um. Das Temesta hatte seine Wirkung verloren, die Gleichgültigkeit war weg. Jemand war in diesem Zimmer gewesen, als sie für eine halbe Stunde weg war. Jemand hatte sich einen Generalschlüssel besorgt, war hier hereinspaziert, hatte sich den Wellensittich geschnappt, hatte die Tür wieder abgeschlossen, war am schlafenden Igor vorbei und in den Ruheraum hinuntergegangen und hatte den schon toten Pavarotti ins Aquarium geworfen oder ihn dort ertränkt.
    Diese gleichgültige Brutalität war plötzlich so gegenwärtig in ihrem kleinen Zimmer, daß sie sie hören, sehen, fühlen, schmecken und riechen konnte.
    Sie griff zu ihrem Handy und schrieb eine Nachricht.
pavarotti ist tot
    Malu antwortete immer sofort. Aber diesmal kam keine Antwort.
hallo malu
    Keine Antwort.
    Sie wählte Malus Nummer. Eine Frauenstimme sagte: »Bitte rufen Sie später an. Der gewünschte Mobilteilnehmer kann momentan nicht erreicht werden.«
    Sonia hörte Schritte im Korridor. Sie wurden lauter und verstummten an der Tür. Sie hielt den Atem an.
    Die Dielen knarrten.
    Es klopfte.
    Sonia antwortete nicht. Ihr Puls raste.
    Es klopfte wieder.
    »Wer ist da?« fragte sie.
    »Ich bin’s, Manuel. Bist du okay?«
    Sonia atmete auf, ging zur Tür und ließ ihn herein.
    Er sah ihr prüfend ins Gesicht. »Das habe ich mir gedacht. Sechs Stunden. Länger wirken die nicht.« Er hielt ihr eine Folie mit vier Temesta hin. »Ich habe noch mehr.«
    Sie ging ins Bad, füllte ein Glas mit Wasser, drückte eine Pille aus der Folie, steckte sie in den Mund und spülte sie runter. Manuel war ihr ins Bad gefolgt.
    »Wo ist der Käfig?«
    »Entsorgt. Ich dachte, das sei besser, als immer den leeren Käfig anschauen zu müssen. Aber jetzt sehe ich immer den fehlenden Käfig.«
    »Einen neuen Sittich möchtest du nicht?«
    Sonia schüttelte den Kopf. »Ich mag Wellensittiche nicht. Pavarotti mochte ich, obwohl er einer war. Ach, Scheiße.« Sie fing wieder an zu weinen.
    Manuel nahm sie in die Arme.
    »Hast du heute schon etwas gegessen?«
    »Wieso? Habe ich Mundgeruch?« fragte sie, halb lachend, halb weinend.
    »Ich frage, weil es nicht gesund ist, auf nüchternen Magen zu weinen.«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    »Was hat denn Essen mit Hunger zu tun? Zieh dich an, ich warte unten, und dann gehen wir in den

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