Der Teufel von Mailand
alle diese Paragraphen abrufbereit im Kopf. Aber zum ersten Mal konnte sie sich vorstellen, es zu tun.
Maman mußte das gespürt haben. »Du hast ihn doch einmal geliebt«, half sie.
»Geliebt schon. Aber nie so richtig gemocht.«
Frédérics Mutter steckte auch das weg. »Er war schon als kleiner Junge sehr sensibel. Daß du ihn verlassen hast, hat ihn schrecklich verletzt. Er wollte dich doch nur zurückhaben. Männer sind nun einmal nicht so geübt darin, ihre Gefühle auszudrücken.«
Es gibt Momente in diplomatischen Verhandlungen, in denen es besser ist zu schweigen. Einen solchen Moment hatte Sonias Exschwiegermutter soeben verpaßt.
»So nennst du das? Mitten in der Nacht vor der Wohnung der geschiedenen Frau aufkreuzen, Sturm läuten, und wenn sie nicht aufmacht, die Scheibe der Wohnungstür einschlagen, eindringen, sie mit Fäusten traktieren und, wenn ein Nachbar eingreift, auf sie schießen! Ungeübtes Ausdrücken der Gefühle?«
»Er hat für einen Moment durchgedreht, ich weiß.«
»Sehr geplant durchgedreht. Seine Offizierspistole geladen und mitgenommen fürs spätere spontane Durchdrehen!«
Sonia war laut geworden. Jetzt schwieg sie und versuchte, sich zu beruhigen.
Maman setzte sich auf. Sonia sah, daß sie nie damit gerechnet hatte, daß sie sie massieren würde, denn sie trug einen Badeanzug. »Was willst du noch mehr? Seine Karriere hast du bereits kaputtgemacht. Und sein Leben auch beinahe.«
Sonia wollte sie anschreien. Aber sie zwang sich durchzuatmen und antwortete ruhig: »Das hat er sich beides selbst kaputtgemacht.« Sie nahm das Dokument vom Tisch. Es trug die Überschrift »Antrag zur Einstellung des Verfahrens gegen Dr. Frédéric Heinrich Forster«. Sie widerstand dem Impuls, es zu zerreißen, und hielt es Maman hin.
Diese ignorierte das Papier. »Findest du nicht, du seist ihm trotz allem etwas schuldig für das Leben, das er dir geboten hat? Und immer noch bietet?«
Sonia ließ das Papier fallen und wandte sich zum Gehen. Aber Maman packte sie mit eisernem Griff am Oberarm.
»Früher oder später kommt er auch ohne dich raus. Und dann wäre ich bedeutend ruhiger, wenn er dir nichts nachzutragen hätte.«
Sonia packte Mamans Handgelenk und befreite sich von dieser Hand. Immer noch ruhig, obwohl ihr Herz raste. »Jetzt drohst du mir also mit deinem sanftmütigen Sohn.«
»Schon fertig?« Manuel saß am Tisch des Personalraums vor einem Kreuzworträtsel.
»Sie ist die Mutter meines Ex.« Sonia war froh, daß Manuel hier war. Sie setzte sich zu ihm.
»Ich dachte, niemand weiß, wo du bist.«
»Außer meiner besten Freundin. Und der haben sie das Handy geklaut und meine SMS gelesen.«
»Die scheuen keinen Aufwand.«
»Die wollen was von mir, was nur ich ihnen geben kann.«
»Was?«
Sonia sah keinen Grund, es ihm nicht zu erzählen. »Eine Unterschrift. Ich soll einen Antrag unterschreiben, das Verfahren gegen meinen Ex einzustellen.«
»Was für ein Verfahren?«
»Drohung, Hausfriedensbruch, einfache Körperverletzung, versuchte vorsätzliche Tötung, unerlaubtes Tragen einer Waffe und so weiter.«
Manuel stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Als Opfer und zum Zeitpunkt der Tat noch nicht ein Jahr getrennt lebende Exlebenspartnerin des Täters könnte ich die Einstellung des Verfahrens beantragen. Dann bliebe noch die versuchte Tötung, aber diesen Tatvorwurf versucht sein Anwalt wegzubekommen, weil Frédéric mir angeblich mit der Pistole nur drohen wollte. Das könnte der Staatsanwalt akzeptieren, wenn sogar das Opfer sich für den Täter einsetzt. Daran arbeitet ein ganzer Stab von Anwälten Er kann es sich leisten. Er hat damals mit der New Economy ein Vermögen gemacht.«
»Aber jetzt sitzt er doch hoffentlich im Loch?«
»In der Psychiatrie. Seine Anwälte haben sofort eine Untersuchung des Geisteszustands beantragt, und der Haftrichter hat ihn dafür in die Klinik Waldweide einweisen lassen. Dort können sie ihn so lange behalten, wie er eingesperrt würde, falls man ihn verurteilt. Falls ich nicht unterschreibe, könnten das im allerbesten Fall ein paar Jahre sein, falls ich unterschreibe, ist er praktisch draußen.«
Manuel nickte nachdenklich. »Und könnte es wieder versuchen?«
»Es hilft jedenfalls, zu wissen, daß er nicht frei herumläuft.« Die Tür ging auf, und Frau Felix stand auf der Schwelle. Ihre vergrößerten Augen starrten sie durch das bonbonfarbige Brillengestell an. Sie bekreuzigte sich. »Das Kreuz«, stammelte sie, »das
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