Der Teufel von Mailand
könnte ihr vom Dorf als Pietätlosigkeit ausgelegt werden, befürchteten sie.
Aber Barbara fand, die Gäste sollten nicht auch noch unter dem Unglück zu leiden haben, ließ den Flügel nahe ans Fenster schieben und bat Bob, bitte nichts Trauriges zu spielen. Sie lud Sonia, Manuel und Michelle, die Rezeptionistin, ein, wieder mit den Gästen zu essen, und kam so auf eine Gesellschaft von einundzwanzig Gästen an sieben Tischen.
Sie selbst spielte die Tischdame von Dr. Stahel. Aber vor allem war sie die aufmerksame, strahlende Gastgeberin. Sie führte ihr schulterfreies Valentino von Tisch zu Tisch, wechselte ein paar Worte mit den Gästen und ließ ihr Kleinmädchenlachen aufperlen. Immer trug sie dabei einen Champagnerkelch in der Hand, den ihr der Kellner bei den kurzen Stopps an Dr. Stahels Tisch aus der Flasche auffüllte, die im Kühler neben dem Tisch stand.
Mit den bunten Sonnenschirmen, den Kellnern in ihren gestärkten weißen Leinenjackets und den jazzigen Klavierklängen aus dem Hintergrund sah das alles weniger wie ein Abendessen einiger Hotelgäste aus als wie eine Dinnerparty zur Feier eines glücklichen Sommertages.
Michelle und Manuel unterhielten sich angeregt und übermütig. Aber Sonia fiel es etwas schwer, im gleichen Tonfall mitzuhalten. Ihr war nicht wohl bei der Sache.
Beim Dessert dröhnte plötzlich der Lärm eines hochtourig gefahrenen Motors zu ihnen herüber. Die Gäste wandten die Blicke zur Straße, die vom Dorf am Hotel vorbei in die Höhe führte. Ein alter grüner Landrover kam vom Dorf herauf und hielt dort, wo die Straße der Terrasse am nächsten lag.
Ein alter Bauer stieg aus. Er trug einen dunklen Anzug und eine schwarze Krawatte. Seine Arme hingen an ihm herunter, als gehörten sie nicht zu ihm. Einen Augenblick lang starrte er stumm zu ihnen herüber. Plötzlich ballte er die Faust, schüttelte sie drohend und schrie mit sich vor Haß überschlagender Stimme etwas in seiner Sprache zu ihnen herüber.
Alle Gäste waren verstummt, nur Bob, der von seinem Standort nichts von der Szene mitbekommen hatte, spielte weiter seine Happy Tunes.
Der Alte schwieg einen Moment und schien der Musik zu lauschen, fassungslos. Dann hob er nochmals die Faust und schrie: »Schmaladida musica dal diavel!«
Danach kletterte er in den Landrover zurück. Schwerfällig und umständlich, als hätte ihn plötzlich eine große Müdigkeit befallen.
Der Flügel verstummte. Bob mußte etwas von der Veränderung auf der plötzlich still gewordenen Terrasse mitbekommen haben. Sein Gesicht erschien am Fenster. Er sah Barbara fragend an.
»Wunderbar!« rief sie ihm zu. »Danke, weiter so, bitte!«
Er wechselte einen Blick mit Sonia, bevor er vom Fenster verschwand. Kurz darauf perlten wieder seine Improvisationen in den Sommerabend.
Die Gäste fuhren fort zu essen und versuchten, an die Gespräche anzuknüpfen. Niemand schaute hinüber zu dem alten Mann, der mit heulendem Motor und kratzendem Getriebe seinen Geländewagen auf der Straße wendete.
Barbara Peters tat ihr möglichstes, die Szene herunterzuspielen. Aber die Stimmung war verdorben.
»Was hat er gesagt?« wollte Sonia später von einem der Kellner wissen, der Vallader sprach, das Romanisch des Unterengadins.
»Das war Luzi Bazzell, der Vater des Toten. Wir sollen wieder dorthin gehen, wo wir hergekommen sind. Oder giò l’infiern. Zur Hölle.«
»Und Musica dal diavel heißt Teufelsmusik. Nicht wahr?«
»Bravo!«
Bobs Rücken fühlte sich an wie etwas Bitteres mit Zucker. Sein Stöhnen war Purpur auf Gold.
Sie ritt auf einer rubinroten Welle, bis die chromgelbe Schaumkrone sie verschlang und in die Strudel der schwarzen Brandung zog.
und kommst du jetzt rauf
wohin
hierher
wieso
weil du es geschrieben hast
ich in dieses geisterdorf ich spinn doch nicht
Sonia las ihren letzten SMS -Dialog mit Malu. Sie hatte richtig gelesen:
wie heißt das hotel schon wieder
gamander wieso
vielleicht komme ich wie heißt das kaff
val grisch ich habe aber wenig zeit
macht nichts
Absender: Malu. Aber erst jetzt fiel ihr die Nummer auf: Es war die von Malus altem Handy.
Sonia wählte die Nummer. Der Teilnehmer könne nicht erreicht werden, sagte eine Frauenstimme.
Sie wählte die neue Nummer. Malu meldete sich sofort. Ohne Einleitung fragte Sonia: »Hast du dein altes Handy wieder?«
»Nein, ist nicht mehr aufgetaucht.«
»Scheiße.«
»Das neue ist besser. Kleiner und mit Kamera.«
»Jemand hat mir mit dem alten eine Nachricht geschickt und
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