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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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so getan, als wäre sie von dir.«
    »Weshalb sollte das jemand tun?«
    »Um herauszufinden, wo ich bin. Du hast es nicht verloren. Es wurde dir geklaut.«
    »Von wem?«
    »Für wen, das ist die Frage.«
    »Für wen, glaubst du?«
    »Frédéric.«
    Es war einen Moment still am andern Ende der Leitung.
    »Überleg«, forderte Sonia sie auf.
    »Tu ich ja. Mir fällt niemand ein.«
    »Hast du dich mit Hanspeter versöhnt?«
    »No, Sir.«
    »Triffst du Kurt noch?«
    Keine Antwort.
    »Du triffst ihn noch, stimmt’s?«
    »Der würde doch nicht…«
    »Du hast dich schon mal getäuscht in ihm.«
    Wieder wurde es still am andern Ende.
    »Überleg!«
    »Wir waren in der Sansi Bar. Versöhnungs-Martinis. Viele. Irgendwann danach habe ich gemerkt, daß es nicht mehr da war. Am nächsten Tag habe ich angerufen und gefragt, ob ich es dort liegengelassen habe. Scheiße. Tut mir leid, Sonia.«
    Sonia ging zu Michelle an die Rezeption und schärfte ihr ein, daß sie unter keinen Umständen eingeschriebene Post an sie annehmen dürfe.
    Das Totengeläut klang mahnend zum Gamander herauf. Das halbe Dorf war zur Messe erschienen, denn es war Samstag. Pater Dionys hielt die Totenmesse. Danach drängte sich die Trauergemeinde auf dem kleinen Friedhof im Nieselregen um das offene Grab. Das Kranzgerüst trug schwer an den letzten Grüßen, denn Retos Vater war ein wichtiger Mann.
    Ein großer vierfarbiger Kranz aus Gerbera, ein Meisterwerk der Trauerfloristik, rief ein paar gemurmelte Kommentare hervor. Er trug eine schwarze Schleife mit der goldenen Inschrift: »In stiller Anteilnahme. Gäste und Personal Hotel Gamander«.
    Nach der Beisetzung lud Luzi Bazzell in den Steinbock ein. Aber die Trauergesellschaft wurde nicht wie üblich laut und fröhlich aus Erleichterung, daß es vorbei war und man noch lebte. Alle aßen und tranken fast stumm aus Respekt vor dem Schmerz des erstarrten Witwers, der seinen einzigen Sohn zu Grabe getragen hatte.
    An diesem Abend wurden im Steinbock keine Karten gespielt. Chasper Sarott und Nina saßen gelangweilt am Stammtisch.
    Der einzige Gast war Gian Sprecher. Er hockte an seinem üblichen Tischchen vor seinem halbleeren Glas, noch immer in Anzug und mit schwarzer Krawatte, und stierte vor sich hin. Als er nach der Messe Luzi Bazzell hatte kondolieren wollen, hatte der ihm die Hand nicht gegeben.
    Um neun Uhr schloß Peder Bezzola die kalt gebliebene Küche und kam in die Gaststube. Als Gian Sprecher ihn eintreten sah, winkte er ihn zu sich heran.
    »Soll ich dir was erzählen?« fragte er den Koch.
    »Von mir aus«, antwortete der und setzte sich.
    »Aber es bleibt unter uns.«
    Wie ein umgekehrtes Nebelmeer lastete die Wolkendecke über dem Tal.
    Sonia hatte ihre Mittagspause wieder einmal für eine Runde Jogging geopfert. Der Grund, weshalb sie ihren eisernen Vorsatz, jeden Tag etwas für ihre Fitness zu tun, nicht immer ausgeführt hatte, lag ja inzwischen zwei Meter unter der Erde.
    Sie rannte auf dem Wanderweg, der die Dörfer auf den Südterrassen des Unterengadins miteinander verband. Unter ihr Val Grisch, ein paar Meter über ihr die aschgraue, kompakte Wolkenschicht, aus der ab und zu das harte Bimmeln einer Kuhglocke drang.
    Ihr Atem ging leicht. Sie schrieb das dem Umstand zu, daß sie es seit ein paar Tagen wieder geschafft hatte, Nichtraucherin zu sein. Und vielleicht auch der allgemeinen Erleichterung, die nur durch das gefälschte SMS von Malus gestohlenem Handy getrübt wurde.
    Und da gab es noch etwas anderes, das sie sich gelegentlich würde eingestehen müssen: Sie war eventuell ein bißchen verliebt.
    Der Wanderweg kreuzte ein Landwirtschaftssträßchen. In dieses mußte sie einbiegen, wenn sie rechtzeitig bei der Arbeit sein wollte. Sie hatte einen Massagetermin um halb drei, ein neuer Gast, den sie noch nicht gesehen hatte.
    Die Nebeldecke vor ihr war dunkelgrau geworden. Noch ehe sie den ersten Hof am Dorfrand erreichte, regnete es in schweren Tropfen. Nach ein paar Minuten führten die Rinnen, die in Abständen das Sträßchen überquerten, braunes Regenwasser.
    Ihr Tracksuit klebte am Körper, und sie begann, an den Händen zu frieren. Die Haare, die unter der Baseballmütze hervorschauten, leiteten kalte Rinnsale in ihren Kragen.
    Die Dorfstraße verschwamm im aufspritzenden Regen. Frau Bruhin hatte Licht in ihrem Laden, so dunkel war es geworden.
    Ein Auto holte sie ein und fuhr neben ihr her. Nicht schon wieder so einer. Erst wollte sie, ohne den Kopf zu wenden, weiterrennen.

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